Eckpunkte des Gesetzes
Mit dem Gesetz will die Regierung das Verbot des Tötens von Hühnerküken der Art Gallus Gallus in das Tierschutzgesetz aufnehmen. Das Verbot soll auch die Zucht- und Vermehrungstiere betreffen. Ebenso verboten werden sollen Eingriffe an einem Hühnerei und der Abbruch des Brutvorgangs ab dem siebten Bebrütungstag, die bei oder nach der Anwendung von Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei durchgeführt werden und den Tod des Hühnerembryos verursachen.
Anträge von FDP und Linken
Die FDP will das "Kükentöten europaweit beenden" und stellt sich mit ihrem Antrag (BT-Drs. 19/27816) gegen einen "nationalen Alleingang" in dieser Frage. "Kükentöten wirklich beenden – Aufzucht männlicher Küken fördern" lautet der Titel eines Antrags der Linken (BT-Drs. 19/28773). Darin fordert die Fraktion die Bundesregierung dazu auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der unter anderem das Töten von Küken allein aus wirtschaftlichen Gründen zu einem Straftatbestand nach dem Tierschutzgesetz macht sowie tiergerechte Mindestanforderungen für Aufzucht, Haltung und Transport von sogenannten Bruderhähnen und Zweinutzungshühnern festlegt.
Geschlechtsbestimmung problematisch
Ludger Breloh, Geschäftsführer des Startups Seleggt, plädierte in seiner Stellungnahme für eine Änderung der geplanten Regelung. Es gebe aktuell kein "praxis- und massentaugliches" Verfahren für eine Geschlechtsbestimmung im Brutei vor dem siebten Tag. Er selbst habe mit seinem Unternehmen zwar eine solche Technologie entwickelt. Bislang sei eine Geschlechtsbestimmung damit aber frühestens erst ab dem neunten Tag möglich. Bis zum geplanten Inkrafttreten der Regelung ab 2024 sei nicht mit einer früheren Bestimmungsmöglichkeit – auch nicht von anderen Anbietern – zu rechnen. Der Agrarökonom zweifelt zudem am Sinn der Regelung, da es keinen wissenschaftlichen Beleg für ein Schmerzempfinden eines Hühnerembryos am siebten Bruttag gebe.
Bedeutung von Eintagsküken als Nahrung
Dominik Fischer, Kurator beim Zoo Wuppertal, unterstützte grundsätzlich das geplante Verbot des Kükentötens. Gleichzeitig sprach er sich für Ausnahmen vom Tötungsverbot aus und betonte die Bedeutung von Eintagsküken als Nahrung von vogelfressenden Tierarten. Ob Greifvögel, Reptilien, Amphibien oder Katzen – jeder Halter sei nach dem Tierschutzgesetz verpflichtet, Tiere artgerecht zu halten und zu füttern. Eben deshalb könnten etwa Zoos, Falknereien, Tierparks, Wildparks oder Tierkliniken nicht einfach auf Küken verzichten.
Bruderhahnaufzucht zu regeln
Christiane Keppler von der Gallicon Geflügelberatung mahnte dringenden Regelungsbedarf für die Bruderhahnaufzucht an. Da ausreichend praxistaugliche technische Lösungen für die In-Ovo-Geschlechtsbestimmung fehlten, werde mit dem Inkrafttreten des Verbots des Kükentötens ab 2022 die Aufzucht eines großen Teils der Bruderhähne in Deutschland nötig. Hierfür fehlten aber sowohl die rechtlichen Vorgaben als auch die erforderlichen Stallkapazitäten, so die Expertin. Sie forderte zudem mehr Förderung für die Betriebe – aber auch klare Qualitätsstandards und eine verbindliche Packungskennzeichnungen bezüglich Herkunft und Aufzucht.
Weniger Profit mit Zweinutzungshühnern
Rudolf Preisinger, Geschäftsführer des Geflügelzucht-Unternehmens Lohmann, zeigte zwar Verständnis dafür, dass Politik und Verbraucher in sogenannten Zweinutzungshühner die Lösung für die diversen Probleme der Hochleistungszucht sähen. Er gab jedoch zu bedenken, dass solche Sorten in jeder Hinsicht einen Kompromiss darstellten: "Jeder Züchter wird erhebliche Probleme haben, sowohl die Muskelfülle als auch die Eileistung zu verbessern." Zweinutzungshühner legten 25% weniger Eier, die Hähne brauchten im Schnitt drei Wochen länger für das gleiche Körpergewicht. Sie hätten zudem weniger Muskelfülle im Brustbereich. Damit seien sie nur bedingt vermarktungsfähig.
Tierschutzbund gegen Küken- und Embyonentötung
Inke Drossé vom Deutschen Tierschutzbund unterstrich in ihrer Stellungnahme, dass das Verbot des Kükentötens nach dem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts 2019 längst überfällig sei. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei aus Sicht des Tierschutzes jedoch unzureichend: Das Töten der Embryonen im Ei nach dem siebten Bruttag könne "auch übergangsweise" nicht akzeptiert werden, kritisierte die Biologin. Das Schmerzempfinden der Embryonen könne zu diesem Zeitpunkt nicht sicher ausgeschlossenen werden. Daher bestehe hier auch kein Unterschied zum Töten der Küken. Auch gegen Ausnahmen, um die Verfütterung von Küken an andere Tiere zu ermöglichen, sprach sich die Tierschutzexpertin klar aus. Eine bedarfsgerechte Fütterung sei anderweitig möglich, sagte Drossé und widersprach damit dem Sachverständigen Fischer.
Experte: Nozizeption nicht vor dem siebten Tag
Thomas Bartels vom Friedrich-Löffler-Institut erklärte, es sei nach gegenwärtigem Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht eindeutig zu bestimmen, an welchem Bebrütungstag bei Hühnerembryonen die Fähigkeit zum Empfinden von Schmerz vorhanden sei. Sicher sei nur, dass der Hühnerembryo vor dem siebten Tag noch nicht zur Nozizeption befähigt sei, so der Experte. Danach entwickle sich die Fähigkeit kontinuierlich, ohne dass konkrete Zeitpunkte des Einsetzens des Schmerzempfindens genannt werden könnten.
In-Ovo-Geschlechtsbestimmung auf dem Weg
Edmund Koch, Professor an der Technischen Universität Dresden, informierte über aktuell laufende Forschungen zur spektroskopischen In-Ovo-Geschlechtsbestimmung. Dieses von ihm mitentwickelte Verfahren zeige, dass das Geschlecht von Küken durch optische Methoden bereits ab dem dritten Tag ermittelt werden könne. Automatisierung und großtechnische Umsetzung des Verfahrens jedoch hätten sich in der Vergangenheit als schwierig erwiesen, räumte Koch ein. Aktuell laufe eine neue Versuchsreihe, die bis Juni 2021 abgeschlossen werde. Die Ergebnisse seien erfolgversprechend. Damit gebe es die Aussicht auf eine preiswerte, "industriell umsetzbare Methode" zur Geschlechtsbestimmung zwischen dem dritten und fünften Bruttag, so der Experte.
ZDG: EU-weite Regelung gefordert
Henner Schönecke, Vizepräsident des Zentralverbands der deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), forderte eine EU-weite Regelung. Ein rein nationales Verbot des Kükentötens werde gerade kleinere Brütereien hart treffen, warnte er. Für große, international agierende Betriebe schaffe die geplante Regelung hingegen den Anreiz, ihr Brutgeschäft ins Ausland zu verlagern. Der ZDG-Vertreter kritisierte zudem, dass eine Folgenabschätzung zu den Auswirkungen der Gesetzesinitiative auf die deutschen Brütereien bislang nicht vorliege.