Experten zweifeln an Reformplänen für UN-Sicherheitsrat

Über eine Reform des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wird seit Jahrzehnten debattiert, geändert hat sich wegen des Vetorechts der Mitglieder bislang nichts. In einer Anhörung des Auswärtigen Ausschusses blickten Experten nun auch skeptisch auf aktuelle Pläne, plädierten stattdessen für eine Stärkung der Generalversammlung.

Im September 2023 hatte der Bundestag einen Antrag der Koalitionsfraktionen beschlossen, in dem die Regierung aufgefordert wird, "eine Reform des UN-Sicherheitsrates weiterhin zum erklärten Ziel zu machen, um eine gerechtere Repräsentanz aller Weltregionen, insbesondere Afrikas und Lateinamerikas zu erreichen". Die Regierung solle sich auch "für eine Stärkung und Aufwertung der UN-Generalversammlung" einsetzen. Im vergangenen Herbst unterstrich Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), dass die Vereinten Nationen eines "Updates" bedürften – mit Blick auf den UN-Zukunftsgipfel im kommenden September.

Ekkehard Griep von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen forderte, sich nicht auf eine Reform des blockierten UN-Sicherheitsrates zu fokussieren. Ob Menschenrechte oder Friedensmissionen, ob Pariser Klimaabkommen oder die Nachhaltigkeitsagenda 2030 - all diese Erfolge seien im Rahmen der Vereinten Nationen und unterhalb der Hürde von Änderungen der UN-Charta möglich gewesen. Der auf Vorschlag der SPD-Fraktion geladene Experte sprach sich dafür aus, Allianzen in der UN-Generalversammlung zu suchen. Dort sei die Staatengemeinschaft anders als im Sicherheitsrat in der Lage gewesen, mit großer Mehrheit Resolutionen gegen den Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beschließen.

Auch Nicole Deitelhoff vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung hielt eine Reform des Sicherheitsrates für wenig realistisch. Dessen Vetos ließen sich aber entwerten, wenn die Generalversammlung gestärkt würde: mit regelmäßigen Entschließungen auch in puncto Frieden und Sicherheit und auch zu Abrüstung und Rüstungskontrolle, so die Expertin, die auf Vorschlag der FDP-Fraktion eingeladen worden war. Sie verwies allerdings auch darauf, dass es zwar gelungen sei, eine deutliche Mehrheit in der Generalversammlung für eine Verurteilung von Russlands Krieg zu organisieren, die meisten dieser Länder machten aber bei den Sanktionen gegen den Aggressor nicht mit.

Auch Marianne Beisheim von der Stiftung Wissenschaft und Politik machte eine Revitalisierung der Generalsversammlung als entscheidend aus. Sie sei der Ort der Kommunikation, an dem Mittelmächte und kleinere Länder ihre Positionen einbringen könnten. Gleichwohl würden afrikanische Länder weiter darauf drängen, die Reform des UN-Sicherheitsrates auf die Agenda zu nehmen, weil für sie einfach nicht akzeptabel sei, dort nicht permanent vertreten zu sein, so die auf Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingeladene Expertin.

Union und AfD skeptisch gegenüber Aufwertung der Generalsversammlung

Der Politikwissenschaftler Stephan Bierling von der Universität Regensburg warb für mehr Realismus. Der UN-Sicherheitsrat sei "unreformierbar". Keines der fünf ständigen Mitglieder China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA werde das eigene Vetorecht aufgeben oder anderen Ländern ein solches Recht zugestehen. Wer auf die Aufwertung der Generalversammlung setze, gebe damit andererseits womöglich prochinesischen und antiisraelischen Kräften noch mehr Raum. Bierling, der auf Vorschlag der Unionsfraktion eingeladen worden war, sprach sich für eine Stärkung der Unterorganisationen der Vereinten Nationen aus. Hier seien westliche Staaten die größten Geldgeber und hätten die Hebel in der Hand, auf die Personalpolitik Einfluss zu nehmen und Fehlentwicklungen im UN-System zu begegnen.

Der Völkerrechtler Gerd Seidel, Emeritus der Humboldt-Universität zu Berlin, sagte, dass man sich vor idealisierenden Vorstellungen der Leistungsfähigkeit der Vereinten Nationen hüten müsse: Sie sei nun mal eine schwergängige Organisation mit 193 Staaten. Trotzdem habe sie immer wieder ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt, bei der Etablierung von Menschenrechtskonventionen und Vertragsorganen zu ihrer Überprüfung wie bei der Etablierung von Organisationen zum Schutz der Umwelt, sagte der auf Vorschlag der AfD-Fraktion geladene Experte.

Redaktion beck-aktuell, hs, 30. Januar 2024.