Ex-Verfassungsrichter Papier warnt vor Erosion des Rechtsstaats

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier warnt in einem Gespräch mit dem Magazin "Stern" (Ausgabe vom 30.10.2019) vor einer zunehmenden Erosion des Rechtsstaats. Zu viele Ermittlungsverfahren in Deutschland würden eingestellt und Haftbefehle vielfach nicht vollzogen, kritisiert Papier. "Die Politik hat lange Zeit über alle Parteigrenzen hinweg die Justiz schlicht vernachlässigt", so Papier.

Papier empört über Künast-Urteil

Papier kritisiert im "Stern", dass geltendes Recht nicht konsequent durchgesetzt werde. So versage der Rechtsstaat, wenn im Görlitzer Park in Berlin Drogendealer weitgehend unbehelligt ihren Geschäften nachgehen könnten. Dadurch verlören die Bürger das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates. Papier empört sich auch über den Berliner Richterspruch, der die grobe Beschimpfung der Grünen-Politikerin Renate Künast als "Schlampe" und "Fotze" als zulässige Meinungsäußerung wertete. "Wenn das keine Beleidigung ist, weiß ich nicht, wie ich jemanden beleidigen soll", so Papier.

Papier fordert Klarnamenpflicht

Im Zusammenhang mit Hasskriminalität im Internet forderte Papier eine Klarnamenpflicht in den sozialen Medien. Es gebe kein Grundrecht, seine Meinung anonym zu äußern, sagt Papier, "eine Klarnamenpflicht wäre eine Art Vermummungsverbot im Internet."

Bedenkliches Laissez-Faire gegenüber Klimaaktivisten

Scharfe Kritik äußert Papier auch an einem Laissez-Faire gegenüber gesetzesüberschreitenden Klimaaktivisten. Er moniert, dass die Polizei beispielsweise nicht gegen die Blockadeaktionen der Klimabewegung "Extinction Rebellion" in Berlin eingeschritten sei. "Der Rechtsstaat zieht sich hier schon bedenklich zurück", sagt Papier. Selbst die Verfolgung eines noch so hehren Zieles - "und sei es die Weltenrettung" - erlaube es nicht, sich über die Rechte anderer hinwegzusetzen. In seinem neuen Buch "Die Warnung" warnt Papier vor einer "Ökodiktatur". 

Redaktion beck-aktuell, 29. Oktober 2019.