Die Europäische Kommission hat im Streit um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz die zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet. Am 12.09.2017 wurde eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Polen gerichtet, in der sie das Gesetz über die ordentlichen Gerichte beanstandet. Die polnischen Behörden haben nun einen Monat Zeit, um auf die Stellungnahme zu reagieren. Sollten sie keine geeigneten Maßnahmen ergreifen, droht eine Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beanstandet
Wie die Kommission mitteilte, vertritt sie unverändert die Auffassung, dass das polnische Gesetz eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts beinhaltet, indem für Richterinnen und Richter ein unterschiedliches Pensionsalter (60 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer) festgelegt wird. Dies verstoße gegen Art. 157 AEUV und die Richtlinie 2006/54 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeitsfragen.
Zweifel an Unabhängigkeit der polnischen Gerichte
Die Kommission hat außerdem rechtliche Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der polnischen Gerichte: Diese werde dadurch untergraben, dass der Justizminister das Recht erhält, die Amtszeit von Richtern, die das Pensionsalter erreicht haben, nach eigenem Ermessen zu verlängern sowie Gerichtspräsidenten zu entlassen und zu ernennen (was gegen Art. 19 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 47 EU-Grundrechtecharta verstoße). Die neuen Vorschriften gäben dem Justizminister die Möglichkeit, Einfluss auf einzelne Richter zu nehmen, insbesondere durch vage Kriterien für die Amtszeitverlängerung und fehlende Fristen für einen solchen Beschluss, was den Grundsatz der Unabsetzbarkeit von Richtern untergrabe. Außerdem könne der Justizminister dank seiner Ermessensfreiheit bei der Entlassung und Ernennung von Gerichtspräsidenten auf diese Einfluss nehmen, beispielsweise wenn sie über die Zuteilung von Rechtssachen befinden, in denen es um die Anwendung von EU-Recht geht.
Redaktion beck-aktuell, 13. September 2017.
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