Europaausschuss: Experten fordern höheren EU-Haushalt

Zahlreiche Experten fordern einen höheren EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 und appellieren an die Bundesregierung, sich entsprechend einzusetzen. Dies hat der parlamentarische Pressedienst am 21.10.2019 aus einer Anhörung im Europaausschuss des Bundestags zum Haushaltsentwurf der Europäischen Kommission berichtet. Das geplante Budget reiche nicht aus, um neuen Herausforderungen wie etwa dem Klimawandel gerecht zu werden. Dabei dürften auch stärkere Einschnitte im Agrarbereich kein Tabu sein.

EU-Vorschlag

Für die EU-Kommission hatte Andreas Schwarz zuvor den im Mai 2019 vorgelegten Vorschlag präsentiert. Danach müsse von 2021 bis 2027 jeder der nach dem Brexit nur noch 27 Mitgliedstaaten 1,11 Prozent seines Bruttonationaleinkommens an die EU entrichten statt wie derzeit 1,03 Prozent. Um den Aufwuchs des Finanzrahmens zu begrenzen, solle es "moderate Kürzungen" bei der Gemeinsamen Agrarpolitik und den Kohäsions- und Strukturfonds geben.

BDI fordert mehr Geld für Forschung und Innovation

"Die EU befindet sich in einem internationalen Innovationswettbewerb", betonte unter anderem Klaus Günter Deutsch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Um in diesem zu bestehen, seien höhere Gemeinschaftsausgaben und eine in sich stimmige industriepolitische Strategie unabdingbar. So sollten die Ausgaben für das künftige Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation, Horizont Europa, "nicht unter 120 Milliarden Euro" liegen. Auch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels müssten aufgestockt werden.

WIFO: Budget für neue Herausforderungen wie Klimawandel unzureichend

Margit Schratzenstaller-Altzinger vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) betonte den Mehrwert der Europäischen Union für alle Mitgliedstaaten, der über das reine Kosten-Nutzen-Niveau hinausgehe. "Die Herausforderungen sind größer denn je", sagte sie mit Blick auf Digitalisierung, Klimawandel und Zuwanderung. "Doch so, wie der EU-Haushalt derzeit aufgestellt ist, ist sein Beitrag zu Lösungen relativ begrenzt."

IW: "Moderner EU-Haushalt" erfordert Einschnitte in traditionellen Sektoren

Andreas Schwarz machte nach seiner Vorstellung des EU-Vorschlags deutlich, dass auch er für einen "modernen Haushalt" ein höheres Budget für notwendig hält. "Ein zu niedriger Finanzrahmen kann zu Lasten der modernen Politiken gehen", warnte er, sprach jedoch von "starken Beharrungstendenzen" bei den Mitgliedstaaten in den Bereichen Landwirtschaft und Kohäsion. Die sieht auch Berthold Busch vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). "Die stärkere Orientierung der Ausgabenstruktur an den neuen Herausforderungen zulasten der traditionellen Aufgaben scheint auf erheblichen politischen Widerstand in den Mitgliedstaaten zu stoßen", bemerkte er. Man könne jedoch nicht "den Rahmen eng begrenzen und neue Prioritäten definieren, aber bestehende Ausgabenblöcke zum Tabu erklären".

Think Tank: Deutschland soll Schulden für höhere Beiträge machen

Dass die Mitgliedstaaten traditionelle Ausgabetöpfe im Laufe der Verhandlungen immer schützen, müsse zu politischen Konsequenzen führen, betonte Lucas Guttenberg vom Jacques Delors Institut. "Wir werden einen größeren Finanzrahmen brauchen als den bisher vorgeschlagenen", stellte er klar. Auch die Bundesregierung solle höhere Beiträge zahlen und dafür im Rahmen von Maastricht bereit sein, Schulden zu machen. "Wir brauchen einen Haushalt, der mit den Anforderungen korrespondiert, die wir an die EU stellen", mahnte er.

Wissenschaftler: Direktzahlungen für landwirtschaftliche Betriebe beenden

Professor Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sprach sich ebenfalls für höhere Nettobeiträge aus. Zugleich sollten die Förderansprüche wohlhabender Regionen zurückgefahren und die Kohäsionsmittel so wieder auf das ursprüngliche Konvergenzziel ausgerichtet werden. Kritik übte er wie auch Pieter Cleppe von der britischen Denkfabrik Open Europe an den Direktzahlungen für die landwirtschaftlichen Betriebe. Sie seien nicht zielgenau, weil es keine Bedürfnisprüfung gebe. "Sie sollte die EU auslaufen lassen oder in ein Instrument zur Bepreisung messbar erbrachter europäischer Umweltgüter transformieren", forderte Heinemann.

Think Tank: Gemeinsame Agrarpolitik grundlegend reformieren

Cleppe sprach ebenfalls von "kontraproduktiven Maßnahmen" und befürwortete eine grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Unter anderem sollte es seiner Ansicht nach keine Direktzahlungen mehr für jene in Europa geben, "die nicht zu den Ärmsten gehören".

DGB fordert "Marshallplan für Europa"

Susanne Wixforth vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) wertete die geplanten Kürzungen bei den Agrar- und Strukturfonds hingegen negativ. Sie forderte ein EU-Budget in Höhe von 1,3 Prozent des Bruttonationaleinkommens und einen "Marshallplan für Europa". Dessen Schwerpunkte sollten die Stärkung der sozialen Rechte und die Erfüllung der UN-Nachhaltigkeitsziele ("Agenda 2030") sein.

Redaktion beck-aktuell, 22. Oktober 2019.

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