EuGH: Zuständigkeit für Klagen privaten Inhabers griechischer Staatsanleihen richtet sich nicht nach "Brüssel Ia"-Verordnung

Welches Gericht eines Mitgliedstaats für Klagen eines privaten Inhabers griechischer Staatsanleihen, die im Jahr 2012 zwangsweise umgetauscht wurden, gegen den griechischen Staat zuständig ist, richtet sich nicht nach der "Brüssel Ia"-Verordnung. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 15.11.2018 handelt es sich nicht um einen Rechtsstreit über "Zivil- und Handelssachen" im Sinne dieser Regelung (Az.: C-308/17).

Papiere durch neue Staatsanleihen mit niedrigerem Nennwert ersetzt

Leo Kuhn aus Wien erwarb im zugrundeliegenden Fall über eine österreichische Depotbank griechische Staatsanleihen im Nennwert von 35.000 Euro. Dabei handelt es sich um Inhaberpapiere, in denen das Recht auf Rückzahlung des Kapitals bei Fälligkeit und auf Zinszahlungen verbrieft ist. Bei dem von Griechenland im Jahr 2012 vorgenommenen Zwangsumtausch wurden die von Kuhn gehaltenen Anleihen durch neue Staatsanleihen mit niedrigerem Nennwert ersetzt.

Zinsen auf Konto österreichischer Bank überwiesen

Kuhn erhob vor den österreichischen Gerichten Klage gegen Griechenland auf Erfüllung der ursprünglichen Anleihebedingungen beziehungsweise auf Schadenersatz. Griechenland wandte ein, dass die österreichischen Gerichte hierfür nicht zuständig seien. Der österreichische Oberste Gerichtshof ersuchte den EuGH vor diesem Hintergrund um die Auslegung der "Brüssel Ia"-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen (VO (EU) Nr. 1215/2012). Sie sieht als Grundregel vor, dass die Gerichte des Wohnsitzmitgliedstaats des Beklagten zuständig sind. In Vertragsangelegenheiten ist jedoch überdies eine besondere Zuständigkeit der Gerichte des Erfüllungsorts der streitigen Verpflichtung geregelt. Kuhn macht in diesem Zusammenhang geltend, dass Griechenland bis zum Tag des Zwangsumtauschs die Zinsen auf sein Konto bei einer österreichischen Bank überwiesen habe.

Streit um Erfüllungsort

Der Oberste Gerichtshof möchte daher wissen, ob sich der Erfüllungsort im vorliegenden Fall nach den bei der Emission der betreffenden Staatsanleihen geltenden Anleihebedingungen richtet oder ob es sich um den Ort handelt, an dem die Anleihebedingungen, etwa durch die Zahlung der Anleihezinsen, tatsächlich erfüllt werden.

Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets sollte sichergestellt werden

Der EuGH hat entschieden, dass die "Brüssel Ia"-Verordnung nicht anwendbar sei, da es sich nicht um einen Rechtsstreit über "Zivil- und Handelssachen" im Sinne dieser Verordnung handele. Der Rechtsstreit gehe vielmehr auf eine Wahrnehmung hoheitlicher Rechte zurück und resultiere aus Handlungen des griechischen Staates in Ausübung dieser hoheitlichen Rechte. Der griechische Gesetzgeber habe im außergewöhnlichen Kontext und unter den außergewöhnlichen Umständen einer schweren Finanzkrise ein Gesetz erlassen, mit dem rückwirkend eine Umstrukturierungsklausel eingeführt worden sei, die es ermöglicht habe, allen Inhabern der betreffenden Staatsanleihen eine Änderung der ursprünglichen Anleihebedingungen aufzuerlegen, und zwar auch jenen, die mit dieser Änderung nicht einverstanden waren. Mit der Klausel sei das im Allgemeininteresse liegende Ziel verfolgt worden, die griechische Staatsschuld umzustrukturieren und die Gefahr des Scheiterns des entsprechenden Umstrukturierungsplans auszuschließen, um den Zahlungsausfall Griechenlands zu verhindern und die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets sicherzustellen.

Außergewöhnliche Lösung war erforderlich

Der EuGH weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets in Erklärungen vom 21.07.2011 und vom 26.10.2011 bekräftigt hätten, dass die Situation Griechenlands in Bezug auf die Beteiligung des privaten Sektors eine außergewöhnliche Lösung erfordere. Der außergewöhnliche Charakter dieser Situation ergebe sich auch daraus, dass gemäß dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus seit dem 01.01.2013 alle neuen Staatsschuldtitel des Euro-Währungsgebiets mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln wie die in Rede stehende enthielten, die so ausgestaltet seien, dass gewährleistet werde, dass ihre rechtliche Wirkung in allen Rechtsordnungen des Euro-Währungsgebiets gleich sei.

EuGH, Urteil vom 15.11.2018 - C-308/17

Redaktion beck-aktuell, 16. November 2018.

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