Anbieter beruft sich auf Ausnahmeregelung für Privatkopien
Im zugrundeliegenden Fall ging es um das englische Unternehmen VCAST, das seinen Kunden im Internet ein System zur Fernbildaufzeichnung terrestrisch ausgestrahlter Sendungen italienischer Fernsehanbieter zur Verfügung stellt, darunter jene von Reti Televisive Italiane (RTI). Der Kunde wählt eine Sendung und ein Zeitfenster aus. Anschließend empfängt das von VCAST verwaltete System über seine eigenen Antennen das Fernsehsignal und zeichnet das gewählte Zeitfenster der Sendung auf einem Speicherplatz in einer "Cloud" auf (cloud computing). Dadurch stellt es dem Kunden die Aufzeichnung der ausgestrahlten Sendungen über das Internet zur Verfügung. VCAST begehrte beim Tribunale ordinario di Torino (Gericht Turin, Italien) die Feststellung der Rechtmäßigkeit seiner Tätigkeit. Das Unternehmen beruft sich dabei auf die Ausnahmeregelung für Privatkopien, wonach Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke keiner Erlaubnis seitens des Inhabers der Urheberrechte oder der verwandten Schutzrechte bedürfen, sofern die Rechteinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten (Art. 5 Abs. 2 Buchst. b RL 2001/29/EG).
Nationales Gericht zweifelt an Vereinbarkeit mit Urheberrechtsrichtlinie
Das Tribunale ordinario di Torino hat VCAST aufgrund eines Antrags von RTI auf Erlass einer einstweiligen Verfügung die Fortsetzung seiner Tätigkeit vorläufig untersagt. In diesem Zusammenhang hat es vor seiner endgültigen Entscheidung beschlossen, dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, mit denen es im Wesentlichen wissen möchte, ob die ohne Erlaubnis der Inhaber der Urheberrechte oder der verwandten Schutzrechte erbrachte Dienstleistung von VCAST mit der Urheberrechtsrichtlinie vereinbar ist.
EuGH bejaht bei Zurverfügungstellung öffentliche Wiedergabe
Der EuGH stellt klar, dass die von VCAST erbrachte Dienstleistung eine Doppelfunktion besitze: Sie gewährleiste zugleich die Vervielfältigung und die Zurverfügungstellung der geschützten Werke. Soweit die von VCAST angebotene Dienstleistung in der Zurverfügungstellung geschützter Werke bestehe, falle sie unter die öffentliche Wiedergabe. Die öffentliche Wiedergabe eines Werks oder Schutzgegenstands einschließlich seiner Zugänglichmachung müsse nach der Richtlinie aber von der Erlaubnis des Rechteinhabers abhängig sein. Dabei sei das Recht auf öffentliche Wiedergabe von Werken in einem weiten Sinne zu verstehen, der jegliche drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Übertragung oder Weiterverbreitung eines Werks, einschließlich der Rundfunkübertragung, umfasst.
EuGH: Ausnahmeregelung für Privatkopien nicht anwendbar
Der EuGH betonte, dass die ursprüngliche Übertragung durch den Fernsehsender einerseits und die Verbreitung durch VCAST andererseits unter unterschiedlichen technischen Bedingungen nach einem unterschiedlichen Verfahren zur Verbreitung der Werke durchgeführt würden, wobei jede von ihnen für die jeweilige Öffentlichkeit bestimmt sei. Der Gerichtshof kam deshalb zu dem Schluss, dass die (Weiter-)Verbreitung durch VCAST eine von der ursprünglichen Wiedergabe unterschiedliche öffentliche Wiedergabe darstellt, für die somit eine Erlaubnis der Inhaber der Urheberrechte oder der verwandten Schutzrechte erteilt werden müsse. Folglich könne ein solcher Fernaufzeichnungsdienst nicht unter die Ausnahmeregelung für Privatkopien fallen.