Wegen Insolvenz eines Unternehmens Pre-pack-Verfahren eingeleitet
Der Heiploeg-Konzern bestand aus mehreren Gesellschaften, die im Fisch- und Meeresfrüchtegroßhandel tätig waren. In den Jahren 2011 und 2012 häufte Heiploeg erhebliche Verluste an. 2013 wurde dann gegen vier Konzerngesellschaften wegen Beteiligung an einem Kartell eine Geldbuße in Höhe von 27 Millionen Euro verhängt. Da keine Bank bereit war, die Geldbuße zu finanzieren, wurde ein Pre-pack-Verfahren eingeleitet. Beim Pre-pack handelt es sich um eine Praxis des niederländischen Rechts, die auf die Rechtsprechung zurückgeht. Mit ihr soll ermöglicht werden, dass im Insolvenzverfahren ein Unternehmen, dessen Tätigkeit fortgeführt wird (going concern), aufgelöst wird und so die Gläubiger so gut wie möglich befriedigt werden und die Arbeitsplätze so weit wie möglich erhalten bleiben.
Veräußerungsvorbereitung durch unter Aufsicht stehenden designierten Insolvenzverwalter
Die Veräußerungen von Unternehmen oder Unternehmensteilen, die in einem solchen Verfahren organisiert werden, werden durch einen "designierten Insolvenzverwalter" vorbereitet, dessen Aufgaben durch das zuständige Gericht, das ihn bestellt, und durch die Weisungen, die ihm dieses Gericht und der "designierte Insolvenzrichter" erteilen, bestimmt werden. Der "designierte Insolvenzrichter" wird zu diesem Zweck vom zuständigen Gericht bestellt. Der "designierte Insolvenzverwalter" steht unter seiner Aufsicht. Wird in der Folge ein Insolvenzverfahren eröffnet, überprüft das zuständige Gericht, ob sich diese Personen in vollem Umfang an die ihnen erteilten Weisungen gehalten haben. Ist dies nicht der Fall, bestellt es zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens andere Personen zum Insolvenzverwalter und zum Insolvenzrichter.
Viele Beschäftigte zu schlechteren Arbeitsbedingungen übernommen
Im vorliegenden Fall bestellte das zuständige Gericht im Januar 2014 auf Antrag von Heiploeg zwei "designierte Insolvenzverwalter" und einen "designierten Insolvenzrichter". Als im selben Monat über das Vermögen von Heiploeg das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wurden dieselben Personen zu Insolvenzverwaltern beziehungsweise zum Insolvenzrichter bestellt. Auf der Grundlage einer Vereinbarung über die Veräußerung von Aktiva wurde der Großteil der Geschäftstätigkeiten von Heiploeg von zwei niederländischen Gesellschaften ("Heiploeg-neu") übernommen, die am 21.01.2014 ins Handelsregister eingetragen wurden. Nach dieser Vereinbarung übernahm Heiploeg-neu die Arbeitsverträge von etwa zwei Dritteln der Beschäftigten von Heiploeg. Sie sollten dieselben Tätigkeiten ausüben, allerdings zu schlechteren Arbeitsbedingungen.
Ausnahme von Wahrung der Arbeitnehmer-Rechte nur unter drei Voraussetzungen
Der niederländische Gewerkschaftsbund legte gegen das Urteil, mit dem das Insolvenzverfahren über Heiploeg eröffnet wurde, Berufung ein. Die Berufung wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Insolvenz von Heiploeg unausweichlich gewesen sei und deshalb im vorliegenden Fall eine Ausnahme von der Wahrung der Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen greife. Heiploeg-neu sei daher nicht an die Arbeit- und Beschäftigungsbedingungen gebunden, die vor dem Übergang gegolten hätten. Nach der Richtlinie 2001/23, deren Ziel es ist, die Arbeitnehmer insbesondere dadurch zu schützen, dass die Wahrung ihrer Ansprüche und Rechte bei einem Unternehmensübergang gewährleistet wird, müssen für die genannte Ausnahme drei Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens muss gegen den Veräußerer ein Konkursverfahren oder ein entsprechendes Verfahren eröffnet worden sein. Zweitens muss dieses Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers eröffnet worden sein. Drittens muss das Verfahren unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle (oder eines von einer solchen Stelle ermächtigten Insolvenzverwalters) stehen.
Angerufener Oberster Gerichtshof der Niederlande ruft EuGH an
Der niederländische Gewerkschaftsbund legte gegen das Berufungsurteil beim Obersten Gerichtshof der Niederlande Kassationsbeschwerde ein. Er macht geltend, dass die genannte Ausnahme bei einem Pre-pack-Verfahren nicht greife, sodass die Arbeitsbedingungen der übernommenen Beschäftigten beibehalten werden müssten. Der Oberste Gerichtshof der Niederlande hat dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Erwerber bei einem in einem Pre-Pack-Verfahren vorbereiteten Übergang wie dem, um das es im vorliegenden Fall geht, sei grundsätzlich nicht verpflichtet, die Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer (Art. 3 und 4 RL 2001/23) zu wahren, so der EuGH. Das betreffende Verfahren müsse allerdings durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelt sein.
EuGH: Insolvenz des Veräußerers war hier unausweichlich
Der EuGH stellt hier fest, dass die Insolvenz des Veräußerers unausweichlich war und dass sowohl das Insolvenzverfahren als auch das diesem vorausgegangene Pre-pack-Verfahren mit dem Ziel der Auflösung des Vermögens des Veräußerers durchgeführt wurden. Der Übergang des Unternehmens sei in diesem Insolvenzverfahren erfolgt. Die Ausnahme von der Wahrung der Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer diene dazu, die ernsthafte Gefahr einer Verschlechterung des Werts des veräußerten Unternehmens oder der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte auszuschließen. Hingegen sei Ziel eines Pre-pack-Verfahrens, das einem Insolvenzverfahren vorausgeht, dass die Gläubigergemeinschaft so gut wie möglich befriedigt wird und die Arbeitsplätze soweit wie möglich erhalten bleiben. Der Gerichtshof ergänzt, dass mit dem Rückgriff auf ein mit dem Ziel der Auflösung einer Gesellschaft durchgeführtes Pre-pack-Verfahren die Chancen für eine Befriedigung der Gläubiger erhöht werden sollen. Insgesamt betrachtet würden das Pre-pack-Verfahren und das Insolvenzverfahren also im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23 mit dem Ziel der Auflösung des Unternehmens durchgeführt.
Pre-pack-Verfahren muss durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelt sein
Aus Gründen der Rechtssicherheit müsse das Pre-pack-Verfahren durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelt sein. Zum anderen stellt der Gerichtshof – auch hier mit der Einschränkung, dass das Verfahren durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelt sein muss – fest, dass das Pre-pack-Verfahren, um das es im Ausgangsverfahren geht, gemäß Art. 5 der Richtlinie 2001/23 unter der Aufsicht einer zuständigen öffentlichen Stelle durchgeführt worden ist. Der "designierte Insolvenzverwalter" und der "designierte Insolvenzrichter" würden nämlich von dem für das Pre-pack-Verfahren zuständigen Gericht bestellt, das deren Aufgaben bestimmt, und, wenn in der Folge das Insolvenzverfahren eröffnet wird, überprüft, wie sie diese ausgeübt haben. Es entscheide nämlich, ob es im Insolvenzverfahren zum Insolvenzverwalter und Insolvenzrichter dieselben Personen bestellt oder nicht. Im Übrigen werde der im Pre-pack-Verfahren vorbereitete Übergang erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollzogen. Der Insolvenzverwalter und der Insolvenzrichter könnten es ablehnen, die Veräußerung durchzuführen, wenn sie zu der Einschätzung gelangen, dass sie nicht im Interesse der Gläubiger des Veräußerers ist. Außerdem müsse der "designierte Insolvenzverwalter" nicht nur im Insolvenzbericht über seine Verwaltung der vorbereiteten Phase Rechenschaft ablegen. Er hafte auch unter denselben Voraussetzungen wie der Insolvenzverwalter.