EuGH zur Dublin-III-Verordnung: Rücküberstellung nur mit Zustimmung des um Wiederaufnahme ersuchten EU-Staates

EU-Staaten (hier: Frankreich) dürfen Flüchtlinge, die zuvor in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Deutschland) internationalen Schutz beantragt haben, nicht zurücküberstellen, bevor der um Wiederaufnahme ersuchte Staat zugestimmt hat. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 31.05.2018 zur Dublin-III-Verordnung entschieden. Anderenfalls würde das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz des Betroffenen beeinträchtigt (Az.: C-647/16).

Iraker klagt gegen Anordnung seiner Überstellung nach Deutschland

Der Ausgangskläger, ein irakischer Staatsangehöriger, hatte in Deutschland internationalen Schutz beantragt. Anschließend begab er sich nach Frankreich, wo er vorläufig festgenommen wurde. Die französischen Behörden ersuchten die deutschen Behörden um Wiederaufnahme des Ausgangsklägers und beschlossen am selben Tag, ihn nach Deutschland zu überstellen. Denn nach ihrer Ansicht war nach der Dublin-III-Verordnung Deutschland für die Bearbeitung des Antrags des Ausgangsklägers auf internationalen Schutz zuständig, da er dort einen solchen Antrag gestellt habe. Der Ausgangskläger focht die Anordnung seiner Überstellung nach Deutschland vor einem französischen Gericht an. Er machte insbesondere geltend, die Entscheidung verstoße gegen die Dublin-III-Verordnung, da sie erlassen und ihm zugestellt worden sei, bevor der ersuchte Mitgliedstaat (Deutschland) ausdrücklich oder stillschweigend auf das Gesuch der französischen Behörden um seine Wiederaufnahme geantwortet habe.

Französisches Vorlagegericht: Überstellungsanordnung vor Zustimmung Deutschlands zulässig?

Das mit dieser Rechtssache befasste französische Verwaltungsgericht rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und wollte wissen, ob die französischen Behörden gegenüber dem Ausgangskläger eine Überstellungsentscheidung hätten erlassen und ihm zustellen dürfen, bevor Deutschland diesem Wiederaufnahmegesuch ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt habe.

EuGH: Keine Überstellungsanordnung vor Zustimmung zu Wiederaufnahmegesuch

Laut EuGH ergibt sich aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem Ziel der Dublin-III-Verordnung eindeutig, dass eine Überstellungsentscheidung erst erlassen und dem Betroffenen zugestellt werden darf, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat seiner Wiederaufnahme stillschweigend oder ausdrücklich zugestimmt hat. 

Rechtsschutz des Betroffenen anderenfalls beeinträchtigt

Anderenfalls könnte die betroffene Person gezwungen sein, einen Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung einzulegen, noch bevor der ersuchte Mitgliedstaat auf das Wiederaufnahmegesuch geantwortet habe, obwohl ein solcher Rechtsbehelf nur dann zum Tragen kommen könne, wenn der ersuchte Mitgliedstaat dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben habe. Zudem könnte das Recht des Betroffenen auf einen wirksamen Rechtsbehelf in seiner Tragweite eingeschränkt sein, da die Überstellungsentscheidung nur auf die vom ersuchenden Mitgliedstaat (hier: Frankreich) gesammelten Beweise und Indizien gestützt wäre. Dürfte eine Überstellungsentscheidung vor der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats erlassen und zugestellt werden, liefe dies in den Mitgliedstaaten, die keine Aussetzung dieser Entscheidung vor der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats vorsähen, darauf hinaus, dass die betroffene Person dem Risiko ausgesetzt wäre, an den ersuchten Mitgliedstaat überstellt zu werden, bevor dieser der Überstellung grundsätzlich zugestimmt habe.

EuGH, Urteil vom 31.05.2018 - C-647/16

Redaktion beck-aktuell, 1. Juni 2018.

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