Bußgeld gegen Unilever wegen Missbrauchs beherrschender Stellung
Die italienische Wettbewerbsbehörde verhängte 2017 gegen den Konzern Unilever ein Bußgeld wegen Missbrauchs seiner beherrschenden Stellung auf dem italienischen Markt für den Vertrieb von einzelverpacktem Speiseeis. Der Vorwurf gründete auf Ausschließlichkeitsklauseln, die unabhängige Vertriebshändler der Eisprodukte Verkaufsstellen auferlegt hatten. Dadurch würden konkurrierende Wirtschaftsteilnehmer vom Markt ausgeschlossen oder ihnen die Marktteilnahme zumindest erschwert. Die Behörde meinte, die Verwendung solcher Klauseln durch ein Unternehmen in beherrschender Stellung genüge, um einen Missbrauch dieser Stellung festzustellen. Von Unilever vorgelegte wirtschaftliche Analysen zum Nachweis dafür, dass die Klauseln keine Verdrängungswirkung bezüglich mindestens ebenso leistungsfähiger Wettbewerber hätten, prüfte die Behörde daher nicht. Dagegen erhob Unilever Klage, die in erster Instanz scheiterte. Der mit der Berufung befasste italienische Staatsrat rief den EuGH zur Auslegung des EU-Wettbewerbsrechts an.
EuGH: Zurechnung missbräuchlichen Verhaltens von Vertriebshändlern
Laut EuGH kann ein missbräuchliches Verhalten von Vertriebshändlern, die Teil des Vertriebsnetzes eines Herstellers in beherrschender Stellung – wie Unilever – seien, diesem nach Art. 102 AEUV zugerechnet werden, wenn feststehe, dass dieses Verhalten Teil einer einseitig von dem Hersteller beschlossenen und mittels dieser Vertriebshändler umgesetzten Politik ist. Dann seien die Vertriebshändler und das Vertriebsnetz nur als ein Instrument zur territorialen Verbreitung der Geschäftspolitik des Unternehmens und damit als ein Instrument anzusehen, mit dem die fragliche Verdrängungspraxis gegebenenfalls umgesetzt worden sei. Dies gelte insbesondere dann, wenn – wie hier – die Vertriebshändler eines Herstellers in beherrschender Stellung den Verkaufsstellen vom Hersteller bereitgestellte Standardverträge mit Ausschließlichkeitsklauseln unterzeichnen lassen müssen.
Behörde muss von Unternehmen vorgelegte Beweise prüfen
Für einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV genüge der Nachweis, dass das beanstandete Verhalten in der Lage gewesen sei, den Leistungswettbewerb zu beschränken. Erforderlich seien aber "greifbare Beweise", Zweifel müssten dem Unternehmen zugutekommen. Bei der Verwendung von Ausschließlichkeitsklauseln könne nicht automatisch ein Missbrauch der beherrschenden Stellung angenommen werden. Vielmehr müsse die Wettbewerbsbehörde dies konkret prüfen, wenn das Unternehmen im Lauf des Verfahrens gestützt auf Beweise die konkrete Eignung dieser Klauseln, genauso leistungsfähige Wettbewerber vom Markt auszuschließen, in Abrede stellt, ebenso, wenn das Unternehmen Rechtfertigungsgründe geltend macht. Sie dürfe eine vorgelegte Studie zum Nachweis fehlender Verdrängungswirkungen nicht als irrelevant einstufen, ohne dies zu begründen und dem Unternehmen so die Möglichkeit zu geben, ein relevantes Beweisangebot zu liefern. Die Wettbewerbsbehörden müssten zur Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Praxis zwar nicht auf den Test des "ebenso leistungsfähigen Wettbewerbers" zurückgreifen, da es sich nur um eine von mehreren Methoden handele, mit denen die Eignung zu Verdrängungswirkungen geprüft werden könne. Lege das Unternehmen die Ergebnisse eines solchen Tests aber im Verwaltungsverfahren vor, müsse die Wettbewerbsbehörde deren Beweiswert prüfen.