EuGH zum Aufenthaltsrecht eines Drittstaatsangehörigen nach Scheidung von EU-Bürger bei häuslicher Gewalt

Bei einem Drittstaatsangehörigen, der Opfer häuslicher Gewalt durch seinen die Unionsbürgerschaft besitzenden Ehepartner wurde, kann der Fortbestand des Aufenthaltsrechts nach Scheidung davon abhängig gemacht werden, dass er über genügende Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verfügt. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Darin liege keine rechtswidrige Ungleichbehandlung gegenüber einem Drittstaatsangehörigen nach Scheidung wegen häuslicher Gewalt durch seinen drittstaatsangehörigen Ehepartner.

Algerier kämpft nach häuslicher Gewalt um Aufenthaltsrecht

Der Kläger, ein Algerier, lebte mit seiner französischen Ehefrau in Belgien, und besaß dort eine Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers. Er war häuslicher Gewalt durch seine Frau ausgesetzt. Fast drei Jahre, nachdem diese nach Frankreich gezogen war, beantragte er die Scheidung und wurde schließlich geschieden. In der Zwischenzeit hatten die belgischen Behörden das Aufenthaltsrecht des Klägers beendet, weil er nicht nachgewiesen habe, dass er über genügende Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts verfüge, wie dies das belgische Recht in Umsetzung von Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG für den Fortbestand des Aufenthaltsrechts im Fall der Scheidung nach häuslicher Gewalt vorsehe. Dagegen klagte der Mann. Er machte geltend, Ehepartner von Unionsbürgern und von rechtmäßig in Belgien wohnhaften Drittstaatsangehörigen würden rechtswidrig ungleich behandelt, und verwies auf die Regelung in Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2003/86/EG, der diese Voraussetzung nicht enthalte. Das Vorlagegericht wollte wissen, ob Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG im Licht des in der EU-Grundrechtecharta festgeschriebenen Gleichbehandlungsgrundsatzes gültig ist.

EuGH korrigiert Rechtsprechung zum Anwendungsbereich der Regelung

Der EuGH schränkt zunächst seine Rechtsprechung im Urteil der pakistanischen Staatsangehörigen Na zum Anwendungsbereich von Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2004/38/EG ein: Entgegen seinen dortigen Ausführungen sei die Regelung auch dann anwendbar, wenn das gerichtliche Scheidungsverfahren nach dem Wegzug des Ehepartners mit Unionsbürgerschaft aus dem betreffenden Aufnahmemitgliedstaat eingeleitet wurde. Im Interesse der Rechtssicherheit könne ein Drittstaatsangehöriger, der Opfer häuslicher Gewalt durch seinen Ehepartner mit Unionsbürgerschaft geworden sei und dessen gerichtliches Scheidungsverfahren nicht vor dessen Wegzug aus dem Aufnahmemitgliedstaat eingeleitet worden sei, die Aufrechterhaltung seines Aufenthaltsrechts jedoch nur geltend machen, sofern dieses Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist nach dem entsprechenden Wegzug eingeleitet werde. Laut EuGH sollte dem betroffenen Drittstaatsangehörigen nämlich ausreichend Zeit eingeräumt werden, um zu entscheiden, ob er ein gerichtliches Scheidungsverfahren zum Zweck der Erlangung eines persönlichen Aufenthaltsrechts nach Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c einleiten oder sich in dem Mitgliedstaat, in dem der Unionsbürger wohne, niederlassen wolle, um sein abgeleitetes Aufenthaltsrecht aufrechtzuerhalten.

Regelung auch gültig

Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG sei auch gültig, so der EuGH weiter. Die Bestimmung führe nicht zu einer Diskriminierung. Denn mit Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2004/38/EG und Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2003/86/EG werde zwar das gemeinsame Ziel verfolgt, den Schutz von Familienangehörigen, die Opfer von Gewalt im häuslichen Bereich geworden seien, zu gewährleisten. Die mit diesen Richtlinien eingeführten Regelungen gehörten aber zu unterschiedlichen Regelungsbereichen, deren Grundsätze, Gegenstände und Ziele ebenfalls unterschiedlich seien. Zudem genössen die Berechtigten der Richtlinie 2004/38/EG einen anderen Status und Rechte anderer Art als jene, auf die sich die Berechtigten der Richtlinie 2003/86/EG berufen könnten, und das Ermessen, das den Mitgliedstaaten bei der Anwendung der in diesen Richtlinien festgelegten Bedingungen zuerkannt werde, sei nicht gleich.

Keine Vergleichbarkeit der Situationen

Im vorliegenden Fall habe insbesondere eine von den belgischen Behörden im Rahmen der Ausübung des ihnen durch Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2003/86/EG eingeräumten weiten Ermessens getroffene Entscheidung zu der vom Kläger des Ausgangsverfahrens gerügten unterschiedlichen Behandlung geführt. Daher befänden sich im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts mit einem Unionsbürger verheiratete Drittstaatsangehörige, die von dessen Seite Gewalthandlungen im häuslichen Bereich ausgesetzt gewesen seien und unter die Richtlinie 2004/38/EG fielen, auf der einen Seite und mit einem anderen Drittstaatsangehörigen verheiratete Drittstaatsangehörige, die von dessen Seite Gewalthandlungen im häuslichen Bereich ausgesetzt gewesen seien und unter die Richtlinie 2003/86/EG fielen, auf der anderen Seite für die etwaige Anwendung des durch Art. 20 der EU-Grundrechtecharta garantierten Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht in einer vergleichbaren Situation.

EuGH, Urteil vom 02.09.2021 - C-930/19

Redaktion beck-aktuell, 3. September 2021.