EuGH: Mitgliedstaaten dürfen zivilrechtliche Einziehungsverfahren unabhängig von Feststellung einer Straftat vorsehen

Das Unionsrecht hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, unabhängig von der Feststellung einer Straftat zivilrechtliche Einziehungsverfahren vorzusehen. Dies geht aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19.03.2020 hervor. Ein solches Verfahren falle nicht unter den Rahmenbeschluss über die Einziehung von Vermögensgegenständen, heißt es in der Begründung (Az.: C-234/18).

Vermögensgegenstände von erheblichem Wert erworben

Gegen BP, den Aufsichtsratsvorsitzenden einer bulgarischen Bank, wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, weil er andere Personen dazu bestimmt haben soll, von Dezember 2011 bis Juni 2014 Gelder der Bank in Höhe von circa 105 Millionen Euro zu veruntreuen. Die strafrechtlichen Ermittlungen laufen und haben noch nicht zu einem rechtskräftigen Urteil geführt. Unabhängig von diesen strafrechtlichen Ermittlungen stellte die bulgarische Kommission für die Korruptionsbekämpfung und Vermögenseinziehung fest, dass BP und seine Familienangehörigen Vermögensgegenstände von erheblichem Wert erworben hätten, deren Herkunft nicht festgestellt werden könne. Sie leitete daher ein zivilrechtliches Verfahren beim Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia, Bulgarien) ein, um die illegal erlangten Vermögensgegenstände einziehen zu lassen.

Einziehung ohne Feststellung einer Straftat?

Das bulgarische Gericht möchte vom EuGH wissen, ob das Unionsrecht Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die vorsehen, dass ein Gericht die Einziehung illegal erlangter Vermögensgegenstände anordnen kann, ohne dass dieses Verfahren die Feststellung einer Straftat oder die Verurteilung der mutmaßlichen Täter voraussetzt.

Gegenseitige Anerkennung im Rahmen von Strafverfahren soll erleichtert werden

Der EuGH stellt dazu fest, dass der Rahmenbeschluss über die Einziehung von Vermögensgegenständen die Mitgliedstaaten verpflichten soll, gemeinsame Mindestvorschriften für die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten einzuführen, um die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Einziehungsentscheidungen im Rahmen von Strafverfahren zu erleichtern. Demzufolge regele dieser Rahmenbeschluss nicht die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen, die in einem oder im Anschluss an ein Verfahren, das nicht die Feststellung einer oder mehrerer Straftaten betrifft, angeordnet werde.

Verfahren im streitigen Fall zivilrechtlicher Natur

Der EuGH weist darauf hin, dass das vor dem Sofiyski gradski sad anhängige Einziehungsverfahren zivilrechtlicher Natur ist und im innerstaatlichen Recht neben einer strafrechtlichen Einziehungsregelung besteht. Es konzentriere sich ausschließlich auf die angeblich illegal erlangten Vermögensgegenstände und werde unabhängig von einem etwaigen Strafverfahren gegen den mutmaßlichen Täter und unabhängig von seiner etwaigen Verurteilung geführt.

Rahmenbeschluss nicht anwendbar

Unter diesen Voraussetzungen ergehe die vom Sofiyski gradski sad zu erlassende Entscheidung nicht in einem Verfahren, das Straftaten betrifft, und falle daher nicht in den Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses über die Einziehung von Vermögensgegenständen. Der Gerichtshof kommt zum Ergebnis, dass das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die vorsehen, dass ein Gericht die Einziehung illegal erlangter Vermögensgegenstände anordnen kann, ohne dass dieses Verfahren die Feststellung einer Straftat oder die Verurteilung der mutmaßlichen Täter voraussetzt.

EuGH, Urteil vom 19.03.2020 - C-234/18

Redaktion beck-aktuell, 19. März 2020.

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