EuGH: Wohnsitzerfordernis in Rheinland-Pfalz für Übernahme der Schülerbeförderungskosten verstößt gegen EU-Recht

Das Wohnsitzerfordernis für die Übernahme der Schülerbeförderungskosten in Rheinland-Pfalz stellt eine mittelbare Diskriminierung von Grenzarbeitnehmern und ihren Familien dar. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 02.04.2020 entschieden. In Rheinland-Pfalz sei das Wohnsitzerfordernis auch nicht durch die effiziente Organisation des Schulsystems als zwingender Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (Az.: C-830/18).

Landkreis übernahm Schülerbeförderungskosten für Grenzgänger-Kind nicht

Der Ausgangskläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit und besucht eine Realschule plus im Landkreis Südliche Weinstraße in Rheinland-Pfalz, wohnt aber mit seinen Eltern, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, in Frankreich. Seine Mutter arbeitet in Deutschland. Ab dem Schuljahr 2015-2016 weigerte sich der Landkreis, die Schülerbeförderungskosten zu übernehmen, weil er nach den rheinland-pfälzischen Rechtsvorschriften nur verpflichtet sei, die Schülerbeförderung für die Schüler zu übernehmen, die in diesem Bundesland wohnen.

OVG: Mittelbare Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern?

Das mit dieser Sache befasste Oberverwaltungsgericht Koblenz wollte vom EuGH wissen, ob eine Maßnahme, die die Übernahme der Schülerbeförderung durch ein Bundesland von einem Wohnsitz in diesem Bundesland abhängig mache, eine mittelbare Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern darstelle. Für den Fall, dass diese Frage bejaht werde, wollte das OVG wissen, ob diese Voraussetzung durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein könnte, und zwar durch die Notwendigkeit, eine effiziente Organisation des Schulwesens sicherzustellen.

EuGH: Wohnsitzerfordernis diskriminiert Wanderarbeitnehmer mittelbar

Der EuGH stellt zunächst fest, dass sich die Mutter des Ausgangsklägers als "Wanderarbeitnehmerin" gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat, also Deutschland, auf den Grundsatz der Gleichbehandlung in Art. 7 Abs. 2 der Freizügigkeitsverordnung (EU) Nr. 492/2011 berufen kann. Sie habe ihren Arbeitsplatz in Deutschland behalten, ihren Wohnsitz aber nach Frankreich verlegt. Eine Maßnahme, die die Erstattung der Schülerbeförderungskosten von einem Wohnsitz im betreffenden Bundesland abhängig mache, könne sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnten, auswirken. Sie stelle daher eine mittelbare Diskriminierung dar, die durch das Unionsrecht grundsätzlich verboten sei.

Vergleich zu Inländern aus anderen Bundesländern irrelevant

Die Tatsache, dass die inländischen Arbeitnehmer, die in den anderen Bundesländern wohnen, ebenfalls diesem Erfordernis unterlägen, sei insoweit irrelevant, so der EuGH weiter. Das Wohnsitzerfordernis stelle zudem nicht nur eine mittelbare Diskriminierung, sondern auch eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar, da es Staatsangehörige eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten könne, ihren Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, um ihr Recht auf Freizügigkeit auszuüben.

Organisation des Schulsystems hier kein legitimes Ziel

Laut EuGH ist das Wohnsitzerfordernis auch nicht gerechtfertigt. Zwar könne die Organisation des Schulsystems ein legitimes Ziel sein. Jedoch belege die Tatsache, dass der Landkreis oder die kreisfreie Stadt, in deren Gebiet der Schüler den Wohnsitz habe, die Beförderungskosten trage, wenn eine Schule außerhalb von Rheinland-Pfalz besucht wird, dass die Organisation der Schülerbeförderung auf der Ebene des Bundeslandes nicht untrennbar mit der Organisation des Schulwesens innerhalb dieses Bundeslandes verknüpft sei. Folglich wiesen die rheinland-pfälzischen Vorschriften über die Schülerbeförderung keine hinreichend enge Verbindung mit der Organisation des Schulwesens auf, dass davon ausgegangen werden könnte, dass diese Vorschriften ein legitimes Ziel verfolgen.

Wohnsitzerfordernis auch nicht unabdingbar - Praktische Schwierigkeiten bei alternativen Maßnahmen kein Rechtfertigungsgrund

Jedenfalls könne das Wohnsitzerfordernis nicht als für die Planung und Organisation der Schülerbeförderung unabdingbar angesehen werden, da, wie das OVG ausführe, andere Maßnahmen in Betracht gezogen werden könnten. Insbesondere könnte für die Berechnung der zu erstattenden Schülerbeförderungskosten der Wohnsitz des Schülers "fiktiv dorthin verlegt werden, wo die Luftlinie zwischen tatsächlichem Wohnort und nächstgelegener Schule die Landesgrenze schneidet". Praktische Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der effizienten Organisation der Schülerbeförderung auf regionaler Ebene stellten keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, der eine als mittelbare Diskriminierung eingestufte nationale Maßnahme rechtfertigen könne.

EuGH , Urteil vom 02.04.2020 - C-830/18

Redaktion beck-aktuell, 2. April 2020.

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