Vorvertragliche Mitteilungspflicht gegenüber Verbrauchern bei fondsgebundener Gruppenlebensversicherung

Einem Verbraucher müssen vor seinem Beitritt zu einer fondsgebundenen ("unit-linked") Gruppenlebensversicherung die nach der Lebensversicherungsrichtlinie notwenigen Angaben sowie weitere Einzelheiten wie die Natur der Vermögenswerte und die strukturellen Risiken mitgeteilt werden, so der Europäische Gerichtshof. Eine Verletzung der Mitteilungspflicht führe nicht zur Nichtigkeit des Vertrags, es müsse aber die praktische Wirksamkeit der Pflicht gewährleistet sein.

Versicherte erlitten Verluste durch fondsgebundene Gruppenlebensversicherungen

Drei polnische Verbraucher traten als Versicherte Verträgen über fondsgebundene ("unit-linked") Gruppenlebensversicherungen bei. Durch ihren Beitritt verpflichteten sie sich, im Gegenzug für die Versicherungsleistungen die Versicherungsprämien zu zahlen. Diese Prämien sind in Anteile eines Investmentfonds umgewandelt und dann in Finanzinstrumente angelegt worden, von denen der Wert dieser Anteile abhängt und die die "zugrunde liegenden Vermögenswerte" der unit-linked-Verträge bilden. Wegen des erheblichen Wertverlusts dieser Anteile klagen die drei Versicherten auf Rückzahlung sämtlicher angelegter Summen. Sie monieren, dass sie nicht mit der erforderlichen Detailliertheit über die Merkmale und Risiken dieser Versicherungsprodukte informiert worden seien. Das polnische Vorlagegericht befragte den EuGH zum Umfang der in der Lebensversicherungsrichtlinie 2002/83/EG vorgesehenen vorvertraglichen Mitteilungspflicht und zu den Folgen einer unterlassenen oder unvollständigen Mitteilung.

EuGH: Vorvertragliche Mitteilungspflicht gegenüber Verbrauchern

Die in der Richtlinie 2002/832/EG vorgesehene vorvertragliche Mitteilungspflicht obliegt laut EuGH zum einen dem Versicherungsunternehmen gegenüber dem einen unit-linked-Gruppenvertrag annehmenden Unternehmen. Es müsse mindestens die in der Richtlinie 2002/832/EG aufgeführten Angaben mitteilen. Das Versicherungsunternehmen müsse in klarer, genauer und für die Verbraucher verständlicher Weise informieren, da die Verbraucher, an die der Vertrag vermarktet werden solle, diese Angaben vor ihrem Beitritt erhalten müssten, um das ihren Bedürfnissen am ehesten entsprechende Versicherungsprodukt auswählen zu können. Zum anderen obliege es dem annehmenden – und dabei als Versicherungsvermittler handelnden – Unternehmen, die ihm vom Versicherungsunternehmen mitgeteilten Angaben jedem beitretenden Verbraucher vor Vertragsbeitritt zu übermitteln. Diese Angaben müssten alle weiteren Einzelheiten enthalten, die sich unter Berücksichtigung der Wünsche und Bedürfnisse des Verbrauchers, die anhand der von ihm mitgeteilten Informationen zu bestimmen seien, als erforderlich erwiesen. Diese Einzelheiten seien der Komplexität des unit-linked-Vertrags anzupassen und ebenfalls klar, genau und für den Verbraucher verständlich zu formulieren.

Umfang der Mitteilungspflicht über zugrunde liegende Vermögenswerte

Hinsichtlich der Art der einem unit-linked-Vertrag zugrunde liegenden Vermögenswerte müssten dem Verbraucher die wesentlichen Merkmale mitgeteilt werden. Ihm müssten klare, genaue und verständliche Informationen über die wirtschaftliche und rechtliche Natur dieser Vermögenswerte einschließlich der für ihre Rendite geltenden allgemeinen Grundsätze sowie über die mit diesen Vermögenswerten verbundenen strukturellen Risiken gegeben werden. Der EuGH unterstreicht, dass die Merkmale der Finanzinstrumente, aus denen die einem unit-linked-Vertrag zugrunde liegenden Vermögenswerte bestehen, bei der vom Verbraucher in voller Sachkenntnis vorgenommenen Auswahl eines solchen Versicherungsprodukts von entscheidender Bedeutung seien. Dies gelte erst recht, wenn es sich wie hier um derivative Instrumente oder strukturierte Produkte, die derivative Instrumente enthielten, handele, die ein besonders hohes Anlagerisiko aufwiesen. Der EuGH weist allerdings darauf hin, dass diese Angaben für eine informierte Auswahl des Verbrauchers auch objektiv erforderlich sein müssen. Daher müsse die Angabe der Art der zugrunde liegenden Vermögenswerte weder zwingend vollständige Informationen über Art und Umfang aller mit der Anlage in diese zugrunde liegenden Vermögenswerte verbundenen Risiken noch dieselben Informationen enthalten wie diejenigen, die der Emittent der Finanzinstrumente, aus denen sie bestünden, dem Versicherungsunternehmen übermittelt habe.

Kein gesondertes vorvertragliches Verfahren zur Information nötig

Mangels harmonisierter Vorschriften könnten die Mitgliedstaaten die Modalitäten für die Erfüllung der vorvertraglichen Mitteilungspflicht festlegen, sofern die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Zwecks gewährleistet sei. Mithin müssten die in der Richtlinie 2002/83/EG genannten Informationen dem Verbraucher nicht zwingend im Rahmen eines gesonderten vorvertraglichen Verfahrens mitgeteilt werden. Sie könnten in dem unit-linked-Gruppenvertrag aufgeführt werden, sofern er diesem Verbraucher rechtzeitig vor seinem Beitritt ausgehändigt werde.

Bei Verletzung der Mitteilungspflicht keine Nichtigkeit des Vertrags

Werde die Mitteilungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt, führt dies laut EuGH nicht zur Nichtigkeit oder Ungültigkeit eines unit-linked-Gruppenvertrags oder der Beitrittserklärung zu diesem Vertrag. Die Verletzung verleihe dem diesem Vertrag beigetretenen Verbraucher somit keinen Anspruch auf Erstattung der gezahlten Versicherungsprämien, sofern die im nationalen Recht für die Ausübung des Rechts auf Geltendmachung dieser Mitteilungspflicht vorgesehenen Verfahrensvorschriften nicht geeignet seien, die Wirksamkeit dieses Rechts dadurch in Frage zu stellen, dass sie den Verbraucher davon abhalten, es auszuüben. Deshalb müsse das nationale Gericht prüfen, ob die Rechtswirkungen, die die anwendbaren nationalen Vorschriften bei nicht ordnungsgemäßer Erfüllung dieser Mitteilungspflicht vorsähen, so geregelt seien, dass die praktische Wirksamkeit der Pflicht gewährleistet sei. Dabei müsse das nationale Gericht seine Auslegung dieser Bestimmungen einschließlich der für die Nichtigkeit von Rechtsakten und für Willensmängel geltenden allgemeinen Vorschriften so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck dieser Richtlinie ausrichten. Abschließend weist der EuGH noch darauf hin, dass die Unterlassung, dem Verbraucher die erforderlichen Angaben mitzuteilen, wettbewerbswidrig sein könne. Sie könne eine irreführende Unterlassung im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG darstellen.

EuGH, Urteil vom 24.02.2022 - C-143/20

Redaktion beck-aktuell, 25. Februar 2022.