EuGH: Vogelschlag kann von Ausgleichspflicht bei großer Flugverspätung befreien

Die Kollision eines Flugzeugs mit einem Vogel ist ein außergewöhnlicher Umstand im Sinn der Fluggastrechteverordnung 261/2004/EG, der das Luftfahrtunternehmen von seiner Ausgleichspflicht im Fall einer großen Verspätung des Fluges befreien kann. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 04.05.2017 entschieden (Az.: C-315/15).

Ausgangskläger machen Ausgleichsanspruch wegen mehr als fünfstündiger Flugverspätung geltend

Die Kläger des Ausgangsverfahrens hatten bei der tschechischen Fluggesellschaft Travel Service für den 10.08.2013 einen Flug von Burgas (Bulgarien) nach Ostrava (Tschechische Republik) gebucht. Bei der Ankunft in Ostrava hatte der Flug eine Verspätung von fünf Stunden und 20 Minuten. Die Ausgangskläger machten deshalb bei dem tschechischen Vorlagegericht (Bezirksgericht Prag 6) einen Ausgleichsanspruch in Höhe von jeweils 6.825 Tschechischen Kronen (etwa 250 Euro) geltend.

Flugzeug kollidierte auf Vorstrecke mit einem Vogel

Die Verspätung hatte ihre Ursache in zwei Zwischenfällen auf vorangegangenen Flügen. Das eingesetzte Flugzeug war vor seinem Abflug nach Ostrava bereits die Strecken von Prag nach Burgas, von Burgas nach Brno (Tschechische Republik) und von Brno wieder nach Burgas geflogen. Auf dem Flug von Prag nach Burgas wurde ein technisches Problem an der Schubumkehr festgestellt, dessen Behebung eine Stunde und 45 Minuten in Anspruch nahm. Anschließend kollidierte das Flugzeug laut Travel Service bei der Landung des Fluges von Burgas nach Brno mit einem Vogel, so dass der technische Zustand des Flugzeugs kontrolliert werden musste. Diese Kontrolle wurde zunächst von einer hierzu autorisierten örtlichen Gesellschaft vorgenommen. Der Eigentümer des Flugzeugs, die Gesellschaft Sunwing, bestand jedoch auf einem Techniker von Travel Service, der dann von einer anderen tschechischen Stadt nach Brno eingeflogen wurde. Letztlich wurden bei keiner dieser beiden Kontrollen Schäden festgestellt, die die Betriebsbereitschaft des Flugzeugs hätten in Frage stellen können. 

Tschechisches Vorlagegericht: Ist Vogelschlag ein "außergewöhnlicher Umstand"? 

Das tschechische Gericht rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und wollte insbesondere wissen, ob die Kollision eines Flugzeugs mit einem Vogel ein außergewöhnlicher Umstand ist, der die Fluggesellschaft von ihrer Ausgleichspflicht im Fall einer Flugverspätung von drei Stunden oder mehr befreien kann. Denn gemäß der Fluggastrechteverordnung 261/2004/EG und der EuGH-Rechtsprechung müsse das Luftfahrtunternehmen keinen Ausgleich leisten, wenn die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen zu diesem Zweck ergriffen worden wären.

EuGH: Begriff des "außergewöhnlichen Umstands"

Der EuGH verweist zunächst auf seine Rechtsprechung, wonach außergewöhnliche Umstände im Sinne der Verordnung Vorkommnisse seien, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind. Das vorzeitige Auftreten von Mängeln an bestimmten Teilen eines Flugzeugs sei kein außergewöhnlicher Umstand, da ein solcher Ausfall untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden sei. Die Wartung und der reibungslose Betrieb des Flugzeugs lägen nämlich im Verantwortungsbereich der Luftfahrtunternehmen.

Vogelschlag ist "außergewöhnlicher Umstand"

Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung vertritt der EuGH die Ansicht, dass die Kollision eines Flugzeugs mit einem Vogel sowie die dadurch gegebenenfalls verursachte Beschädigung nicht untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden sind, so dass eine solche Kollision ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar ist. Folglich sei die Kollision eines Flugzeugs mit einem Vogel ein außergewöhnlicher Umstand im Sinn der Verordnung.

Maßnahmen zur Kollisionsvermeidung müssen zumutbar sein

Wie der EuGH erläutert, setzt eine Befreiung des Luftfahrtunternehmens von seiner Ausgleichspflicht weiter voraus, dass das Unternehmen nachweisen kann, dass der außergewöhnliche Umstand sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Der EuGH führt dazu aus, dass das Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet sein könne, Maßnahmen zu ergreifen, die ihm im Hinblick auf seine Kapazitäten untragbare Opfer abverlangen würden. Auch wenn das Luftfahrtunternehmen verpflichtet sein könne, bestimmte Vorkehrungen zu treffen, um die Risiken möglicher Kollisionen mit Vögeln zu verringern oder gar zu beseitigen, sei es nicht dafür verantwortlich, dass andere Stellen (wie etwa die Flughafenbetreiber oder die zuständigen Fluglotsen) nicht ihren Verpflichtungen nachkommen, die in ihrer Zuständigkeit liegenden Vorkehrungen zu treffen.

Zweite Kontrolle war unnötig 

Außerdem müsse das Luftfahrtunternehmen nachweisen, dass alle Maßnahmen ergriffen wurden, um zu verhindern, dass die außergewöhnlichen Umstände, mit denen das Luftfahrtunternehmen konfrontiert war, zur Verspätung des Fluges um drei Stunden oder mehr führten. Dazu legt der EuGH dar, dass das betreffende Flugzeug am Flughafen von Brno offenbar von einem nach den einschlägigen Vorschriften hierzu autorisierten örtlichen Fachmann kontrolliert worden sei. Unter diesen Umständen sei eine zweite Kontrolle des Flugzeugs nicht erforderlich gewesen, um sich der Betriebsbereitschaft des Flugzeugs zu vergewissern, so dass die auf einer solchen Kontrolle beruhende Verspätung im Hinblick auf die Ausgleichspflicht gemäß der Verordnung nicht gerechtfertigt werden kann.

Berechnung der Verspätungszeit

Schließlich äußert sich der EuGH zur Berechnung der Verspätungszeit. Beruhe die große Verspätung eines Flugzeugs nicht nur auf einem außergewöhnlichen Umstand (Kollision des Flugzeugs mit einem Vogel), der nicht durch angemessene Maßnahmen vermeidbar war und gegen dessen Folgen das Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen hat, sondern auch auf einem anderen Umstand (technisches Problem am Flugzeug), für den es verantwortlich sei, sei die auf dem außergewöhnlichen Umstand beruhende Verspätung von der gesamten Verspätungszeit bei Ankunft des Fluges abzuziehen.

EuGH, Urteil vom 04.05.2017 - C-315/15

Redaktion beck-aktuell, 4. Mai 2017.

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