Ein slowakisches Paar, das mit seinen Kindern in Österreich wohnte, streitet sich nach seiner Trennung über die Obsorge für die Kinder und deren Wohnort. Da die Mutter die Kinder zu sich in die Slowakei gebracht hatte, beantragte der Vater nach dem Haager Übereinkommen über die internationale Kindesentführung bei einem slowakischen Gericht die Rückführung der Kinder zu ihm nach Österreich.
Da die Eltern bisher die gemeinsame Obsorge hatten, beantragte der Vater bei einem österreichischen Gericht außerdem die Übertragung der alleinigen Obsorge an ihn. Die Mutter beantragte bei diesem österreichischen Gericht, dass es ein slowakisches Gericht ersuchen möge, sich hinsichtlich des Sorgerechts für die Kinder für zuständig zu erklären. Das österreichische Gericht gab diesem Antrag statt, wogegen der Vater Rekurs erhob.
EuGH erläutert Ausnahmeregel
Vor diesem Hintergrund hat das österreichische Rekursgericht den EuGH ersucht, die Brüssel-IIa-Verordnung (VO (EG) Nr. 2201/2003) auszulegen, die auf Unionsebene Zuständigkeitsregeln für Sorgerechtsangelegenheiten festlegt.
Nach dieser Verordnung sind für die Entscheidung eines Sorgerechtsstreits grundsätzlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Aufgrund ihrer räumlichen Nähe seien diese Gerichte im Allgemeinen am besten in der Lage, die zum Wohl des Kindes zu erlassenden Maßnahmen zu beurteilen, so der EuGH. Bei einem widerrechtlichen Verbringen des Kindes änder sich daran grundsätzlich nichts, um von einem derartigen Verbringen abzuschrecken.
In Ausnahmefällen könne das Gericht eines Mitgliedstaats, das in der Hauptsache für die Entscheidung über das Sorgerecht zuständig ist, allerdings die Verweisung des Falls an ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats beantragen, zu dem das Kind eine besondere Bindung hat, wenn dieses Gericht den Fall besser beurteilen kann und dies dem Wohl des Kindes entspricht.
Verweisung auch im Fall widerrechtlicher Verbringung möglich
Diese Möglichkeit bestehe auch dann, wenn das Kind widerrechtlich verbracht wurde, so der EuGH weiter. Voraussetzung sei allerdings, dass es eine besondere Bindung zu diesem anderen Mitgliedstaat hat, dass das andere Gericht nach Ansicht des zuständigen Gerichts den Fall besser beurteilen kann und dass die Verweisung dem Wohl des Kindes entspricht.
Diese kumulativen Voraussetzungen seien abschließend. Bei der Prüfung der letzten beiden Voraussetzungen müsse das zuständige Gericht jedoch berücksichtigen, ob gemäß dem Haager Übereinkommen über die internationale Kindesentführung ein Verfahren zur Rückgabe dieses Kindes anhängig ist, das in dem Mitgliedstaat, in den das Kind widerrechtlich verbracht wurde, noch nicht rechtskräftig entschieden wurde.
Das zuständige Gericht müsse dabei gemäß den Bestimmungen des Haager Übereinkommens insbesondere berücksichtigen, dass es den Gerichten des anderen Mitgliedstaats so lange unmöglich ist, eine dem Kindeswohl entsprechende Sachentscheidung über das Sorgerecht zu treffen, bis das mit dem Antrag auf Rückgabe des Kindes befasste Gericht dieses Mitgliedstaats zumindest über diesen Antrag entschieden hat.