Vertrag mit Selbstständigem darf nicht wegen dessen Homosexualität abgelehnt werden

Polen diskriminiert nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs homosexuelle Selbstständige. Da das EU-Antidiskriminierungsgesetz auch für Selbstständige gelte, dürfe die Zusammenarbeit mit einem Selbstständigen nicht wegen dessen sexueller Ausrichtung beendet werden. Andernfalls würde das Gesetz seiner Wirkung beraubt, so der EuGH. Bislang ist es in Polen gestattet, einen Vertrag mit einem Selbstständigen wegen dessen sexueller Orientierung abzulehnen.

Videoredakteur klagt auf Schadenersatz wegen Diskriminierung

Hintergrund ist die Klage eines langjährigen freien Mitarbeiters eines polnischen öffentlichen Fernsehsenders. Die Zusammenarbeit beruhte auf einer Reihe aufeinander folgender Dienstverträge mit kurzer Laufzeit. Im Dezember 2017 veröffentlichten er und sein Partner auf Youtube ein Weihnachtsmusikvideo, das für Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren warb. Kurz danach teilte ihm der Fernsehsender mit, dass sein laufender Vertrag beendet worden sei und kein neuer Vertrag geschlossen werde. Er verlangt vor einem polnischen Gericht Schadenersatz. 

Nationales Gericht ruft EuGH an

Dieses rief den EuGH zu der Frage an, ob die fragliche Situation in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 über die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fällt. Gegebenenfalls möchte das nationale Gericht wissen, ob die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach die auf die sexuelle Ausrichtung einer Person gestützte Weigerung, mit einem Selbstständigen einen Vertrag abzuschließen oder diesen zu verlängern, auf der Grundlage der freien Wahl des Vertragspartners von dem nach dieser Richtlinie zu gewährenden Schutz vor Diskriminierungen ausgeschlossen wird.

Bloße Lieferung von Gütern oder Erbringung von Dienstleistungen nicht erfasst

Nach Ansicht des EuGH fällt die Entscheidung, den Vertrag wegen der sexuellen Ausrichtung des Vertragspartners nicht zu verlängern, in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78. Der EuGH stellt zunächst klar, dass der Zweck der Richtlinie darin besteht, aus im sozialen und öffentlichen Interesse liegenden Gründen alle auf Diskriminierungsgründe gestützten Hindernisse für den Zugang zu Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts und die Fähigkeit, durch Arbeit, egal auf welcher Rechtsgrundlage, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten, zu beseitigen. Da jedoch die Tätigkeiten, die in der bloßen Lieferung von Gütern beziehungsweise Erbringung von Dienstleistungen an einen oder mehrere Empfänger bestehen, nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, komme es darauf an, dass es sich bei den beruflichen Tätigkeiten um tatsächliche Tätigkeiten handelt, die im Rahmen einer durch eine gewisse Stabilität gekennzeichneten Rechtsbeziehung ausgeübt werden.

Richtlinie erfasst jede Form unselbstständiger oder selbstständiger Erwerbstätigkeit

Des Weiteren stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie alle Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen erfasst, die für jede Form einer unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gelten, egal auf welcher Rechtsgrundlage diese Tätigkeit ausgeübt wird. Bezüglich des Begriffs der "Entlassung" räumt der EuGH ein, dass auch eine Person, die einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, sich durch Veranlassung ihres Vertragspartners gezwungen sehen kann, diese Tätigkeit aufzugeben, und sich folglich in einer schwierigen Situation befinden kann, die mit der eines entlassenen Arbeitnehmers vergleichbar ist. 

Polnische Regelung nicht notwendig zu Sicherstellung der Vertragsfreiheit

Der EuGH ist zudem der Auffassung, dass eine Diskriminierung vorliegend nicht mit einer der in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 genannten Ausnahmen gerechtfertigt werden kann. Die polnische Regelung scheine zwar die Vertragsfreiheit zu schützen, sei jedoch nicht notwendig, um die Vertragsfreiheit zu garantieren. Der Umstand, dass der polnische Gesetzgeber eine Reihe von Ausnahmen von der freien Wahl eines Vertragspartners vorsieht, dass er selbst angenommen hat, zeige, dass eine Diskriminierung nicht als notwendig betrachtet werden kann, um in einer demokratischen Gesellschaft Vertragsfreiheit zu garantieren. Ließe man zu, dass die Vertragsfreiheit es erlaubt, den Abschluss eines Vertrags mit einer Person wegen ihrer sexuellen Ausrichtung abzulehnen, nähme dies der Richtlinie 2000/78 und dem Verbot jeder Diskriminierung wegen eines solchen Grundes ihre praktische Wirksamkeit.

EuGH, Urteil vom 12.01.2023 - C-154/21

Redaktion beck-aktuell, 12. Januar 2023 (ergänzt durch Material der dpa).