EuGH-Verhandlung: Zwangshaft für Amtsträger?

Ob dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) Zwangshaft angedroht wird, weil er entgegen einem Urteil von 2012 bisher keine Diesel-Fahrverbote in München verhängen ließ, bleibt nach der mündlichen Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof vom 03.09.2019 weiter äußerst ungewiss. Der Verwaltungsgerichtshof München hatte den EuGH angerufen, um klären zu lassen, ob Zwangshaft gegen Amtsträger nach EU-Recht zur effektiven Rechtsdurchsetzung geboten sein könnte.

VG-Entscheidung aus 2012 nicht umgesetzt

Vor den höchsten EU-Richtern legten beide Seiten ihre weit auseinanderliegenden Positionen dar. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) verlangte die Umsetzung eines Urteils des Verwaltungsgerichts München von 2012. Darin war der Freistaat Bayern verpflichtet worden, auch Diesel-Fahrverbote zu erlassen, um vor allem auf viel befahrenen Straßen der Landeshauptstadt den Ausstoß von Stickstoffdioxid (NO2) auf den nach EU-Recht erlaubten Grenzwert zu bringen. Weder Söder noch sein Amtsvorgänger mochten sich dazu durchringen. Und deswegen begehrte die Deutsche Umwelthilfe Zwangshaft gegen den Ministerpräsidenten und andere Amtsträger wie beispielsweise den Chef der Regierung von Oberbayern. 

VGH München: Zwangshaft EU-rechtlich geboten?

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof reichte das Problem an den EuGH weiter. Zwar zeigten sie sich aufrichtig verärgert über die Missachtung des alten Urteils, doch wiesen sie auch auf verfassungsrechtliche Bedenken gegen Zwangshaft für Amtsträger hin. Und verbanden das mit der Frage, ob Zwangshaft nicht unter EU-Recht geboten sein könnte. 

Bayern und Bund sehen keine Grundlage für Zwangshaft 

Erwartungsgemäß lehnten die Vertreter Bayerns und der Bundesregierung Zwangshaft für Amtsträger strikt ab. "Jede Einschränkung der Freiheit muss gesetzlich vorgesehen und verhältnismäßig sein", sagte eine Prozessvertreterin des Bundes. Was natürlich auch für eine ähnliche Klage gegen den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) gilt.

EU-Kommission: EU-Recht nicht ausreichend für Freiheitsentzug

Aber auch Friedrich Erlbacher vom Juristischen Dienst der EU-Kommission zeigte sich eher skeptisch gegenüber der Zwangshaft. Das EU-Recht sei "nicht ausreichend für einen Freiheitsentzug", sagte er. Es gebe eine "Verfahrensautonomie" in Deutschland, die auch die EU respektieren müsse.

Ministerialdirigent: "Urteil bereits umgesetzt"

Der bayerische Ministerialdirigent Winfried Brechmann hatte den EuGH zuvor schon mit der Aussage "Bayern hat das Urteil umgesetzt" überrascht. Auf 98,8% der Hauptverkehrsstraßen in München werde der NO2-Grenzwert schon jetzt eingehalten – und mit Ausnahme von "zwei bis drei Straßen des internationalen Durchgangsverkehrs" werde der Grenzwert "binnen ein bis zwei Jahren eingehalten». Was Remo Klinger, der Prozessvertreter der Umwelthilfe, lebhaft bezweifelte. Und Resch befand: "Wir hören von Bayern seit zehn Jahren: Im nächsten Jahr wird alles besser."

DUH: Zwangshaft für Amtsträger möglich

Die Kernfrage, ob Zwangshaft gegenüber Amtsträgern nach deutschem Recht erlaubt sei, wurde von Brechmann und Klinger natürlich völlig unterschiedlich beantwortet. Damit verbunden war auch die Frage, ob Freiheitsentzug in irgendeinem Gesetz so klar formuliert sei, wie es den Erfordernissen der Rechtsstaatlichkeit entspreche. Und wie weit ein Richter ein Gesetz interpretieren könne. Bis ins Jahr 1957 hatte sich Klinger durch Bundestagsdrucksachen hindurchgearbeitet, um herauszufinden, was der Gesetzgeber damals über das Thema dachte. Für ihn war danach klar: Zwangshaft ist möglich.

Ausgang des Verfahrens unklar

Wie in einigen Monaten das Urteil des EuGH ausfallen wird, war jedoch auch aufgrund der Fragen der Richter nicht zu erkennen. Gerichtspräsident Koen Lenaerts (Belgien) orakelte lediglich: "Ich denke, dass wir alles erfahren haben, was wir wissen müssen."

Redaktion beck-aktuell, Dieter Ebeling, 4. September 2019 (dpa).

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