EuGH bestätigt Ungarns Umgang mit Fremdwährungsdarlehen mit missbräuchlichen Klauseln

Ungarische Rechtsvorschriften, die es verbieten, ein Fremdwährungsdarlehen aufgrund einer missbräuchlichen Klausel über die Wechselkursdifferenz für nichtig zu erklären, sind mit Unionsrecht vereinbar. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Ob in einem konkreten Fall ein Vertrag aufrechterhalten werden könne, wenn einige seiner Klauseln für unwirksam erklärt worden sind, sei grundsätzlich anhand der im nationalen Recht vorgesehenen Kriterien zu prüfen.

Klausel sieht unterschiedliche Wechselkurse bei Auszahlung und Tilgung vor

Das Urteil betrifft Rechtsvorschriften, die es ermöglichen, die Sach- und Rechtslage wiederherzustellen, in der sich der Verbraucher ohne die missbräuchliche Klausel befunden hätte, auch wenn die Nichtigerklärung des Vertrags für ihn vorteilhafter wäre. Ein Verbraucher schloss im Jahr 2007 mit ungarischen Banken der OTP-Gruppe Darlehensverträge, die auf eine Fremdwährung lauteten. Im Rahmen von Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit diesen Verträgen machte der Verbraucher deren Nichtigkeit geltend und berief sich auf die Missbräuchlichkeit der Klauseln, nach denen sich der Wechselkurs bei Auszahlung der Darlehen (Ankaufskurs der Fremdwährung gegenüber dem ungarischen Forint [HUF]) von dem bei ihrer Tilgung (Verkaufskurs der Fremdwährung) unterschied.

Nichtigerklärung der Verträge nach ungarischem Recht nicht möglich

Das ungarische Berufungsgericht führte zum einen aus, dass der ungarische Gesetzgeber solche missbräuchlichen Klauseln durch eine nationale Bestimmung ersetzt hat, nach der sowohl für die Auszahlung als auch für die Tilgung der offizielle, von der ungarischen Nationalbank festgelegte Wechselkurs gilt. Zum anderen sei es dem Gericht nach ungarischem Recht nicht möglich, die Verträge aufgrund der Ungültigkeit der missbräuchlichen Klauseln für nichtig zu erklären, obwohl das für den Verbraucher - der dann nicht mehr das Wechselkursrisiko trüge - vorteilhafter wäre.

EuGH: Ausgewogenheit wiederherstellen und Verträge möglichst aufrechterhalten

Da das Gericht Zweifel daran hatte, ob die vom ungarischen Gesetzgeber vorgegebene Lösung der Entfernung der missbräuchlichen Klauseln über die Wechselkursdifferenz aus Verträgen über Fremdwährungsdarlehen mit der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Klauselrichtlinie) vereinbar ist, befragte es hierzu den Europäischen Gerichtshof. Nach dessen Ansicht entspricht die Lösung des ungarischen Gesetzgebers dem Ziel der Richtlinie, nämlich die Ausgewogenheit zwischen den Parteien wiederherzustellen und dabei grundsätzlich die Wirksamkeit eines Vertrags in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten. Demnach sollten gerade nicht sämtliche Verträge für nichtig erklärt werden, die missbräuchliche Klauseln - etwa über die Wechselkursdifferenz - enthielten, welche ihrer Durchführung entgegenstünden.

Verbraucher darf durch missbräuchliche Klausel nicht benachteiligt werden

Die Ablehnung eines Antrags auf Nichtigerklärung des Darlehensvertrags sei jedenfalls dann mit der Klauselrichtlinie vereinbar, wenn sichergestellt sei, dass die missbräuchliche Klausel den Verbraucher nicht binde. So müsse die Feststellung der Missbräuchlichkeit der Klausel es ermöglichen, die Sach- und Rechtslage wiederherzustellen, in der sich der Verbraucher ohne die Klausel befunden hätte, insbesondere durch Begründung eines Anspruchs auf Rückgewähr der Vorteile, die der Gewerbetreibende aufgrund der Klausel zulasten des Verbrauchers rechtsgrundlos erlangt habe. Zu prüfen, ob die einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften dies tatsächlich ermöglichten, sei Sache des ungarischen Gerichts.

Auch keine Nichtigerklärung bei Vorteilhaftigkeit für den Verbraucher

Schließlich sei es weder möglich noch erforderlich, dass das angerufene Gericht den in Rede stehenden Darlehensvertrag vollständig für nichtig erklärt, anstatt nur die Klausel aufzuheben und durch eine nationale Bestimmung zu ersetzen. Die Klauselrichtlinie ermögliche es dem Gericht nämlich nicht, sich ausschließlich auf die etwaige Vorteilhaftigkeit der Nichtigerklärung des gesamten in Rede stehenden Vertrags für den Verbraucher zu stützen. Nach dem vom Gerichtshof in seiner einschlägigen Rechtsprechung verfolgten objektiven Ansatz sei es nicht zulässig, im nationalen Recht die Lage einer der Vertragsparteien als das maßgebende Kriterium anzusehen, das über das weitere Schicksal des Vertrags entscheide. Folglich könne der vom betroffenen Verbraucher zum Ausdruck gebrachte Wille keinen Vorrang haben für die Beurteilung des nationalen Gerichts, ob die ungarischen Rechtsvorschriften es ermöglichten, die Sach- und Rechtslage des Verbrauchers wiederherzustellen.

EuGH, Urteil vom 02.09.2021 - C-932/19

Redaktion beck-aktuell, 3. September 2021.