Verbände dürfen AGB-Kontrolle anstoßen: Transparenzgebot verschärft
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Ein Spanischer Verbraucherverband hat mehr als 100 Banken wegen intransparenter AGB verklagt. Nun hat der EuGH bestätigt: Transparenzkontrollen können im Wege der Verbandsklage angestoßen werden. Prof. Dr. Sebastian Martens ordnet das Urteil ein.

Trotz einer vielfach beklagten angeblichen Überregulierung gilt in Europa im Grundsatz (noch): Die Regelung rechtsgeschäftlicher Beziehungen ist prinzipiell der privaten Rechtssetzung der Beteiligten überlassen. Solche private Rechtssetzung prägt denn auch weite Wirtschaftsteile. Insbesondere Banken erlassen umfangreiche Regelungswerke, auf deren Inhalt die Kunden keinen Einfluss nehmen können und denen sie folglich praktisch so unterworfen sind wie einem vom parlamentarischen Gesetzgeber erlassenen Gesetz.

Um Missbrauch und einen ausgewogenen Interessenausgleich zu sichern, ist eine effektive Kontrolle solcher Allgemeinen Geschäftsbedingungen unabdingbar. Der EuGH hat nun zentrale Grundsätze zu den Kontrollmöglichkeiten von AGB durch Verbandsklagen geklärt (Urteil vom 04.07.2024, C-450/22). Dadurch hat er zugleich für mehr Rechtssicherheit gesorgt und das durch unionsrechtliche Vorgaben europaweit vereinheitlichte Kontrollsystem für AGB gestärkt.

Transparenzanforderung: AGB müssen verständlich sein

Hintergrund der Entscheidung des EuGH ist eine Vertragspraxis zahlreicher spanischer Banken, die über einen langen Zeitraum in Hypothekendarlehensverträgen mit einem grundsätzlich variablen Zinssatz Klauseln verwendeten, nach denen der Zinssatz nicht unter ein bestimmtes Niveau (in der Regel 2 bis 5%) sinken konnte, sogenannte Mindestzinssatzklauseln. Ein Verband strengte eine Klage gegen 110 Kreditinstitute an, der sich 820 Betroffene anschlossen. Solche Mindestzinssatzklauseln sind über Jahrzehnte in Millionen Darlehensverträgen verwendet worden. Ihre grundsätzliche inhaltliche Zulässigkeit stand nicht in Frage. Unwirksam waren die Klauseln aber möglicherweise, weil sie dem sogenannten Transparenzgebot nicht standhielten.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, die er auch in der vorliegenden Entscheidung bestätigt hat, muss eine Klausel in AGB nämlich für den Verbraucher nicht nur in formaler und grammatikalischer Hinsicht verständlich sein. Vielmehr muss auch materielle Transparenz in dem Sinne gewährleistet sein, dass ein normal informierter und angemessen aufmerksamer sowie verständiger Durchschnittsverbraucher in die Lage versetzt werden muss, die konkrete Funktionsweise dieser Klausel zu verstehen. Ob eine solche materielle Transparenz gewährleistet ist, lässt sich jedoch nicht allein anhand der jeweiligen Klausel beurteilen, sondern es muss auch der gesamte Kontext einschließlich ihrer praktischen Verwendung und der dabei gegenüber dem Vertragspartner erteilten Informationen berücksichtigt werden.

Das spanische Gericht des Ausgangsverfahrens stand nun vor dem Problem, dass die Banken ganz unterschiedliche Strategien verwendet hatten, um den Gehalt der umstrittenen Mindestzinssatzklauseln zu verschleiern oder zu verheimlichen. So hatten etwa manche die Klausel im Zusammenhang mit Begriffen dargestellt, die nichts mit den Kosten des jeweiligen Hypothekendarlehensvertrags zu tun hatten, oder im Zusammenhang mit Umständen, die zu einer Senkung der Kosten führen konnten, wodurch das Gegenteil ihres tatsächlichen Effekts nahegelegt wurde. Andere hatten durch eine unauffällige Darstellung der Klausel die Aufmerksamkeit der Verbraucher von ihr ablenken wollen.

Angesichts der Vielfalt der Umstände und Verhaltensweisen hatte das spanische Gericht dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine Transparenzkontrolle von AGB in einem Verbandsklageverfahren mit der europäischen Klauselrichtlinie vereinbar ist, wenn die Klage sich gegen eine Vielzahl von Gewerbetreibenden richtet und eine Vielzahl von Verträgen betrifft.

EuGH: Keine Begrenzung der Verbandsklage

Der EuGH hat diese Frage bejaht und zugleich einige, wenngleich nicht alle Fragen geklärt, die sich bei der praktischen Durchführung eines solchen Verfahrens stellen. Dabei hat der EuGH zunächst, wie schon zuvor die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen, die Zweispurigkeit des Rechtsschutzes gegen unzulässige AGB hervorgehoben. Der EuGH betont zurecht, dass die Rechte und Vorgaben der Klauselrichtlinie sowohl durch eine Individualklage vom einzelnen Betroffenen als auch mittels einer Verbandsklage durchgesetzt werden können. Für eine Begrenzung der Verbandsklage auf bestimmte Sachverhalte oder Gegenstände gibt es, wie der EuGH zurecht feststellt, keine Anhaltspunkte in der Richtlinie.

Auch eine Verbandsklage, mit der ein Verstoß gegen das Transparenzgebot geltend gemacht wird, ist daher grundsätzlich möglich. Ihre Zulässigkeit auch gegen eine Vielzahl von Gewerbetreibenden ist nach Ansicht des EuGH nur von zwei Voraussetzungen abhängig: Erstens muss sich die Verbandsklage gegen Gewerbetreibende desselben Wirtschaftssektors richten und zweitens müssen diese Gewerbetreibenden gleiche allgemeine Vertragsklauseln oder ähnliche Klauseln verwenden oder deren Verwendung empfehlen.

Anders als die Generalanwältin ist der EuGH nicht darauf eingegangen, ob es bereits nach der Klauselrichtlinie möglich war, die Zulässigkeit einer Verbandsklage zusätzlich davon abhängig zu machen, dass die von der Klage betroffenen Ansprüche auch im Übrigen "im Wesentlichen vergleichbar" sind, das heißt insbesondere auch die Verwendung der Klauseln hinreichend gleichförmig erfolgt ist. Eine solche Voraussetzung können die Mitgliedstaaten jedenfalls nach dem heute geltenden Richtlinienrecht aufstellen und der deutsche Gesetzgeber hat von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht.

Im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab bei einer Transparenzkontrolle stellt der EuGH wie bereits die Generalanwältin fest, dass hier die etablierten Grundsätze für eine Individualklage bei einer Verbandsklage angepasst werden müssen. Leider geht der EuGH aber nur darauf ein, wie eine solche Anpassung in einem Verfahren gegenüber einem einzelnen Gewerbetreibenden vorzunehmen sein soll. Hier soll es auf alle standardmäßigen Vertrags- und vorvertraglichen Praktiken des jeweils betroffenen Gewerbetreibenden ankommen, wie insbesondere den Wortlaut der in Rede stehenden Klausel und ihre Stellung in den vom jeweiligen Gewerbetreibenden verwendeten Musterverträgen, die Werbung und die Verbreitung allgemeiner vorvertraglicher Informationen.

Mehrere Beklagte: EuGH lässt Fragen offen

Der EuGH thematisiert aber nicht, wie bei einer Verbandsklage gegen eine Vielzahl von Gewerbetreibenden mit dem Problem unterschiedlicher Verwendungspraktiken der Klauseln umzugehen sein soll. Die Generalanwältin hatte auch insofern für die Notwendigkeit einer Standardisierung plädiert und dafür konkrete Vorschläge gemacht. Auch wenn der EuGH sich diese Überlegungen nicht ausdrücklich zu eigen gemacht hat, sollte sich die Praxis doch daran orientieren, um vergleichbare Verfahren sinnvoll und effizient durchführen zu können, was auch nach den Vorstellungen des EuGH ein zentrales Ziel der Klauselrichtlinie ist.

Das spanische Gericht des Ausgangsverfahrens sah eine Transparenzkontrolle in einem Verbandsklageverfahren mit einer Vielzahl von Beklagten und einer Vielzahl von unterschiedlichen über einen langen Zeitraum abgeschlossenen Vertragsverhältnissen auch deshalb als problematisch an, weil die Menge der betroffenen Verbraucher sehr heterogen war. Es legte dem EuGH deshalb als zweite Frage vor, ob es zulässig sei, auch in so einem Fall eine abstrakte Transparenzkontrolle aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers vorzunehmen.

Der EuGH hat auch diese Frage bejaht und damit in der Sache die Anforderungen verschärft, die sich aus dem Gebot materieller Transparenz ergeben. Denn der EuGH verlangt, dass bei der Transparenzkontrolle stets auf die Wahrnehmung eines normal informierten und angemessen aufmerksamen sowie verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist. Dies soll gerade auch in Verbandsklageverfahren gegen eine Vielzahl von Gewerbetreibenden und mit auch im übrigen sehr unterschiedlichen betroffenen Sachverhalten gelten. Es müsse von den Unterschieden zwischen den einzelnen Verbrauchern, an die diese Verträge gerichtet sind, insbesondere hinsichtlich des Kenntnisstands über die Mindestzinssatzklausel, der Einkommenshöhe, des Alters oder der beruflichen Tätigkeit abstrahiert werden. Nicht berücksichtigt werden dürfe auch, wenn sich die verschiedenen betroffenen Verträge jeweils an spezifische Verbrauchergruppen wendeten. Eine Ausnahme vom Abstraktionsgebot will der EuGH nur insoweit zulassen, als sich der Kenntnisstand und das Verständnis der Verbraucher mit der Zeit ändern könne und dann auch die Wahrnehmung des fiktiven Durchschnittsverbrauchers angepasst werden müsse.

Das Urteil des EuGH stärkt die Möglichkeit einer Verbandsklage gegen AGB. Es steht insofern im Einklang einer allgemeinen Haltung des Unionsgesetzgebers, gerade auch im Privatrecht vermehrt auf die institutionalisierte Durchsetzung von Rechten zu setzen und dies nicht (allein) der Initiative der einzelnen Betroffenen zu überlassen. Auf diese Weise sollen die Vorgaben des Unionsgesetzgebers effektiver durchgesetzt werden. Effektiver wird durch das Urteil des EuGH auch das Transparenzgebot für AGB, indem dessen Anforderungen bei Verbandsklagen desto schärfer werden, je größer der Kreis der beklagten Gewerbetreibenden und je unterschiedlicher die betroffenen Vertragsverhältnisse sind.

Prof. Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.), Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Römisches Recht, Europäisches Privatrecht und Europäische Rechtsgeschichte an der Universität Passau.

EuGH, Urteil vom 04.07.2024 - C-450/22

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Sebastian Martens, 5. Juli 2024.