EuGH unterbindet generelles Verbot der Auslieferung nach Polen

EU-Staaten dürfen ungeachtet wachsender Zweifel an der Unabhängigkeit der polnischen Justiz kein generelles Auslieferungsverbot verhängen. Der Europäische Gerichtshof entschied am 17.12.2020, dass die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls weiterhin nur dann verweigert werden darf, wenn der betroffenen Person tatsächlich ein unfaires Verfahren droht. Dies müsse im Einzelfall geprüft werden.

Reelle Gefahr unfairen Verfahrens in Polen?

Hintergrund des EuGH-Urteils ist ein in den Niederlanden laufendes Verfahren, in dem sich ein wegen Drogendelikten festgenommener Pole gegen seine Überstellung in sein Heimatland wehrt. Das mit dem Fall befasste Amsterdamer Gericht wollte vom EuGH unter anderem wissen, ob ein Europäischer Haftbefehl ohne Einzelfallprüfung vollstreckt werden kann, wenn zuvor festgestellt wurde, dass grundsätzlich eine "reelle Gefahr" eines unfairen Verfahrens besteht, weil die polnischen Gerichte "aufgrund systemischer und allgemeiner Mängel nicht mehr unabhängig sind".

Zweifel an Unabhängigkeit polnischer Justiz

Die Zweifel an der Unabhängigkeit der polnischen Justiz gibt es wegen umstrittener Reformen der national-konservativen Regierung in Warschau. Sie haben bereits zu einer ganzen Reihe von Klagen vor dem EuGH geführt. In einem noch laufenden Verfahren legte der zuständige EuGH-Generalanwalt am 17.12.2020 ein für die Regierung unangenehmes Gutachten vor. Er kommt darin zu dem Schluss, das ein polnische Gesetz zum Verfahren zur Beurteilung von Richterkandidaten für das Oberste Gericht gegen EU-Recht verstößt. Ein Urteil in dem Fall wird nun in der ersten Hälfte des Jahres 2021 erwartet.

EuGH, Urteil vom 17.12.2020 - C-354/20

Redaktion beck-aktuell, 17. Dezember 2020 (dpa).