Unparteilichkeit bei Prüfung neuer Medikamente

Sachverständige von Universitätskrankenhäusern dürfen nicht grundsätzlich von der Beteiligung an wissenschaftlichen Gutachten der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) ausgeschlossen werden. Denn ansonsten könnten Sachverständige mit vertieften medizinischen Kenntnissen knapp werden, befürchtet der Europäische Gerichtshof. Zwar müssten die Sachverständigen unparteilich und unabhängig sein. Dies sei aber nicht allein deswegen zu verneinen, weil zu Universitätskliniken auch Einrichtungen gehören könnten, die pharmazeutische Unternehmen seien.

Streit um Genehmigung eines Krebsmedikaments

2018 hatte die EU-Kommission den Antrag des Pharmazieunternehmens Pharma Mar auf Genehmigung des Inverkehrbringens des Arzneimittels für seltene Leiden Aplidin abgelehnt. Die Ablehnung stützte sie auf das negative Gutachten des Ausschusses für Humanarzneimittel der EMA. Aplidin mit dem Wirkstoff Plitidepsin wurde zur Behandlung einer schweren Form von Knochenmarkkrebs entwickelt. Pharma Mar klagte gegen die Ablehnung und bekam vor dem Gericht der Europäischen Union Recht (BeckRS 2020, 28185). Dieses erklärte den Kommissionsbeschluss für nichtig. Das Verfahren, das zu seinem Erlass geführt habe, habe keine hinreichenden Garantien geboten, um jeden berechtigten Zweifel in Bezug auf eine etwaige Voreingenommenheit der an der Bewertung des Arzneimittels beteiligten Sachverständigen auszuschließen, von denen zwei an einem Universitätskrankenhaus tätig waren.

EuGH: Universitätskrankenhäuser nicht unter "pharmazeutische Unternehmen" zu fassen

Deutschland und Estland legten daraufhin Rechtsmittel beim EuGH ein. Ihrer Ansicht nach hat das EuG, indem es das Universitätskrankenhaus einem "pharmazeutischen Unternehmen" im Sinne der EMA-Vorschriften gleichgesetzt hat, einen Rechtsfehler begangen. Nach den betreffenden EMA-Vorschriften ist eine Beschäftigung bei einem pharmazeutischen Unternehmen grundsätzlich mit der Beteiligung an den Tätigkeiten der EMA unvereinbar. Der EuGH ist der Argumentation Deutschlands und Estlands gefolgt. Universitätskrankenhäuser wiesen ein Näheverhältnis zu einer Universität auf, widmeten sich der Pflege, Lehre und Forschung und beteiligten sich nicht an der Vermarktung von Arzneimitteln. Sie nicht unter den Begriff "pharmazeutisches Unternehmen" fallen zu lassen, trage zur Herbeiführung eines Gleichgewichts zwischen der Notwendigkeit einer unparteiischen Prüfung der Genehmigunganträge und einer sorgfältigen und möglichst genauen wissenschaftlichen Prüfung bei.

Hintergrund: Sachverständige mit vertieften medizinischen Kenntnissen nicht ausschließen

Es würde gegen das Unionsrecht verstoßen, wenn davon ausgegangen würde, dass das gesamte Personal eines Universitätskrankenhauses bei einem "pharmazeutischen Unternehmen" beschäftigt ist, betont der EuGH. Im Fall eines umfassenden Ausschlusses der Sachverständigen von Universitätskrankenhäusern, zu denen eine oder mehrere Einrichtungen gehören, die pharmazeutische Unternehmen darstellen könnten, von der Beteiligung an wissenschaftlichen Gutachten bestünde nämlich die Gefahr, dass Sachverständige mit vertieften medizinischen Kenntnissen, insbesondere im Bereich der Arzneimittel für seltene Leiden und der neuartigen Arzneimittel, knapp würden. Der Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass das EuG einen Rechtsfehler begangen hat, als es das fragliche Universitätskrankenhaus allein deshalb als "pharmazeutisches Unternehmen" eingestuft hat, weil es ein Zentrum für Zelltherapie kontrollierte, das seinerseits die Kriterien des "pharmazeutischen Unternehmens" erfüllte.

EuGH, Urteil vom 22.06.2023 - C-6/21

Redaktion beck-aktuell, Miriam Montag, 23. Juni 2023.