Streit um Rechtsmittelprüfung gegen Vergabeausschluss
Eine lokale italienische Gesundheitsbehörde führte ein Ausschreibungsverfahren durch, um einen Auftrag an eine Arbeitsagentur für die vorübergehende Bereitstellung von Personal zu vergeben. Der italienische Ableger des Zeitarbeitsunternehmens Randstad wurde vom Bieterverfahren ausgeschlossen, da das Angebot eine Punktzahl erreicht hatte, die unter dem vorgeschriebenen Schwellenwert lag. Das mit der Klage befasste Rechtsmittelgericht meinte, dass die Weigerung des Staatsrats, die Berufungsgründe der Rechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens zu prüfen, unionsrechtswidrig sei.
Unanfechtbarkeit unionsrechtswidrigen Urteils?
Gleichwohl stellte das Rechtsmittelgericht fest, dass das italienische Verfassungsrecht es verlange, das Rechtsmittel für unzulässig zu erklären. Gegen die Entscheidungen des Staatsrats sei die Kassationsbeschwerde nämlich nur aus Gründen, welche die gerichtliche Zuständigkeit betreffen, zulässig, während im vorliegenden Fall Randstad mit der Beschwerde einen Verstoß gegen das Unionsrecht gerügt habe. Der Kassationsgerichtshof bat den EuGH um Klärung, ob das Unionsrecht einer Bestimmung des innerstaatlichen Rechts entgegenstehe, die der nationalen Rechtsprechung zufolge bewirke, dass Einzelne ein Urteil des obersten Verwaltungsgerichts im Rahmen einer Kassationsbeschwerde vor dem Kassationsgerichtshof nicht mit der Begründung anfechten könnten, dass dieses Urteil mit dem Unionsrecht unvereinbar sei.
EuGH hält Bestimmung mit Unionsrecht vereinbar
Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine solche Bestimmung mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Zum Grundsatz der Verfahrensautonomie hat er festgestellt, dass es - vorbehaltlich des Bestehens einschlägiger Unionsregeln - Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats ist, die verfahrensrechtlichen Modalitäten der Rechtsbehelfe festzulegen, damit den Einzelnen die Wahrung ihres Anspruchs auf einen wirksamen Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 EUV in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet wird. Es sei jedoch sicherzustellen, dass diese Modalitäten nicht ungünstiger seien als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regelten, die dem innerstaatlichen Recht unterlägen, und dass sie die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machten oder übermäßig erschwerten.
Kassationsgründe dürfen beschränkt werden - Äquivalenzgrundsatz beachtet
Somit gestatte es das Unionsrecht den Mitgliedstaaten grundsätzlich, die Kassationsgründe, die in Kassationsverfahren geltend gemacht werden können, zu beschränken oder unter Bedingungen zu stellen. Zum Äquivalenzgrundsatz hat der Gerichtshof festgestellt, dass im vorliegenden Fall die Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts für die Entscheidung über Beschwerden gegen Urteile des Staatsrats, unabhängig davon, ob sie auf nationalen Rechtsvorschriften oder auf Unionsrechtsvorschriften beruhen, nach denselben Modalitäten beschränkt wird. Dieser Grundsatz sei daher gewahrt.
Effektivitätsgrundsatz gebietet keine neuen Rechtsbehelfe
Zum Effektivitätsgrundsatz hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht dazu zwingt, neben den nach innerstaatlichem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen neue zu schaffen, es sei denn, es gibt keinen Rechtsbehelf, mit dem die Wahrung der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleistet werden könnte. Sofern das vorlegende Gericht im vorliegenden Fall feststellt, dass es einen solchen Rechtsbehelf gibt, was grundsätzlich der Fall zu sein scheint, stehe es dem betreffenden Mitgliedstaat aus unionsrechtlicher Sicht vollkommen frei, seinem obersten Verwaltungsgericht die Zuständigkeit für eine in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht letztinstanzliche Entscheidung über den Rechtsstreit zu übertragen und damit zu verhindern, dass dieser noch im Rahmen einer Kassationsbeschwerde vor dem obersten ordentlichen Gericht dieses Staates in der Sache geprüft werden kann.
Kein Widerspruch zu Recht auf wirksamen Rechtsbehelf
Folglich beeinträchtige die fragliche nationale Bestimmung auch nicht den Effektivitätsgrundsatz und liefere keinen Anhaltspunkt dafür, dass Art. 19 EUV verletzt würde. Dieses Ergebnis stehe nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen der Richtlinie 89/665/EWG, die die Mitgliedstaaten im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge verpflichte, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu gewährleisten. Der Gerichtshof hat jedoch festgestellt, dass der Staatsrat angesichts des durch diese Richtlinie und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf die Klage von Randstad vor den Verwaltungsgerichten zu Unrecht als unzulässig angesehen hatte. Insoweit hat der Gerichtshof zum einen darauf hingewiesen, dass es für die Zulässigkeit dieser Klage ausreiche, dass die Möglichkeit bestehe, dass der öffentliche Auftraggeber im Fall eines erfolgreichen Nachprüfungsverfahrens gehalten wäre, das Vergabeverfahren zu wiederholen.
Vergabeausschluss war vorliegend rechtswidrig
Nach der Richtlinie könne der Nachprüfungsantrag nur von einem Bieter gestellt werden, der noch nicht endgültig vom Vergabeverfahren ausgeschlossen sei, wobei der Ausschluss eines Bieters nur dann endgültig sei, wenn er ihm mitgeteilt worden und von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht als rechtmäßig anerkannt worden sei. Im vorliegenden Fall habe der Staatsrat gegen diese Vorschrift verstoßen, da die Entscheidung der Vergabekommission, Randstad vom Verfahren auszuschließen, weder zu dem Zeitpunkt, zu dem Randstad ihre Klage beim erstinstanzlichen Gericht erhob, noch zum Zeitpunkt seiner Entscheidung von diesem oder irgendeiner anderen unabhängigen Nachprüfungsinstanz für rechtmäßig befunden worden sei.
Unzulässigkeitsentscheidung ist hinzunehmen
In einer Situation wie der vorliegenden, in der das nationale Verfahrensrecht es als solches den Betroffenen erlaube, bei einem unabhängigen und unparteiischen Gericht einen Rechtsbehelf einzulegen und vor diesem Gericht wirksam einen Verstoß gegen das Unionsrecht und die Bestimmungen des nationalen Rechts, die das Unionsrecht in der innerstaatlichen Rechtsordnung umsetzen, geltend zu machen, aber das oberste, in letzter Instanz entscheidende Verwaltungsgericht des betreffenden Mitgliedstaats die Zulässigkeit dieses Rechtsbehelfs in ungebührlicher Weise von Bedingungen abhängig mache, die dazu führten, dass den Betroffenen ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vorenthalten werde, verlange das Unionsrecht jedoch nicht, dass dieser Mitgliedstaat zur Verhinderung der Verletzung dieses Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf die Möglichkeit vorsehe, gegen solche Unzulässigkeitsentscheidungen des obersten Verwaltungsgerichts ein Rechtsmittel beim obersten ordentlichen Gericht einzulegen.
Einzelner kann betreffenden Mitgliedstaat haftbar machen
Schließlich hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass dieses Ergebnis nicht die Befugnis des Einzelnen, der durch den Verstoß gegen sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf durch eine Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts gegebenenfalls geschädigt worden ist, berührt, den betreffenden Mitgliedstaat haftbar zu machen, sofern die vom Unionsrecht hierfür vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind, sofern also insbesondere der Verstoß gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf hinreichend qualifiziert ist.