Unionsgesetzgeber entscheidet über Sitz von Arzneimittelagentur und Arbeitsbehörde

Die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Sitz der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und der neu geschaffenen Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) liegt beim Unionsgesetzgeber und nicht bei den Mitgliedstaaten. Dies stellt der Europäische Gerichtshof klar. Die Beschlüsse der Vertreter der Mitgliedstaaten zur Bestimmung der beiden neuen Sitze seien politische Handlungen ohne verbindliche Rechtswirkungen. Daher könnten sie nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein.

Neue Standorte angefochten

Am 20.11.2017 wählten die Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten die Stadt Amsterdam als Ersatz für London zum neuen Standort für den Sitz der EMA. Im Juni 2019 beschlossen sie außerdem, dass die neu geschaffene ELA ihren Sitz in Bratislava haben solle. Italien und die Comune di Milano haben den Beschluss der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten zur EMA angefochten. Das Europäische Parlament hat den Beschluss bezüglich der ELA angefochten.

EU-Gesetzgeber entscheidet über Festlegung der Sitze

Die Große Kammer des EuGH hat sämtliche Klagen abgewiesen. Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass gemeinsame Handlungen der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten nicht der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Unionsrichter nach Art. 263 AEUV unterworfen werden können. Entscheidend sei, ob die Zuständigkeit für die Festlegung des Sitzes der Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union gemäß der in Art. 341 AEUV festgelegten Regel bei den im gegenseitigen Einvernehmen entscheidenden Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten liegt oder ob sie dem Unionsgesetzgeber zusteht. Der EuGH bejaht letzteres. Art. 341 AEUV sei auf die Bestimmung des Ortes des Sitzes einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle wie der EMA und der ELA nicht anwendbar. Die Zuständigkeit für die Entscheidungen über die Sitze der EMA und der ELA liege somit nicht bei den Mitgliedstaaten, sondern beim Unionsgesetzgeber, der zu diesem Zweck nach den Verfahren zu handeln habe, die in den sachlich einschlägigen Bestimmungen der Verträge vorgesehen sind.

Keine Nichtigkeitsklage gegen politische Beschlüsse

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass die im November 2017 beziehungsweise Juni 2019 gefassten Beschlüsse nicht als Handlungen des Rates eingestuft werden können. Diese Beschlüsse stellten vielmehr Handlungen dar, die von Regierungsvertretern gemeinsam und im gegenseitigen Einvernehmen vorgenommen wurden. Da die in Rede stehenden Beschlüsse von den Mitgliedstaaten in einem Bereich getroffen wurden, in dem ihr Handeln nach den Verträgen nicht vorgesehen ist, entbehrten sie im Unionsrecht jeder verbindlichen Rechtswirkung. Es handele sich um politische Beschlüsse der Mitgliedstaaten, die nicht Gegenstand einer Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 263 AEUV sein können.

Befugnisse des EU-Parlaments durch EMA-Beschluss nicht verletzt

Der EuGH wies alle von der Comune di Milano und der italienischen Regierung vorgebrachten Argumente zurück, mit denen Verletzungen der Befugnisse des Parlaments gerügt wurden. Insoweit stellte der Gerichtshof fest, dass dieser Beschluss eine Handlung der politischen Zusammenarbeit sei, der keine Verbindlichkeit zukomme, die geeignet wäre, das Ermessen des Unionsgesetzgebers zu beschränken. Daher könne nicht angenommen werden, dass das Parlament im vorliegenden Fall auf die Ausübung seiner Gesetzgebungsbefugnisse verzichtete, weil es sich an den fraglichen Beschluss gebunden fühlte. Außerdem hätte es dem Parlament, wenn es mit dem politischen Beschluss der Mitgliedstaaten, den Sitz der EMA nach Amsterdam zu verlegen, nicht einverstanden gewesen wäre, freigestanden, sich dem zu widersetzen, dass dieser Beschluss in einem Gesetzgebungsakt der Union zum Ausdruck kommt.

EuGH, Urteil vom 14.07.2022 - C‑59/18

Redaktion beck-aktuell, 14. Juli 2022.