Ungarisches Verfahren bei Flüchtlingsschutzaberkennung unionsrechtswidrig

Die ungarische Regelung, nach der im Verfahren um Flüchtlingsschutzaberkennung erst nachträglich, nach Genehmigung und ohne Mitteilung der Entscheidungsgründe Akteneinsicht möglich ist, verstößt laut Gerichtshof der Europäischen Union gegen EU-Recht. Dass sich die Asylbehörde hinsichtlich der Einschätzung der Gefahr für die nationale Sicherheit systematisch auf die nicht begründete Stellungnahme einer Fachbehörde stützt, sei ebenfalls unionsrechtswidrig.

Syrer wurde wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit Schutzstatus aberkannt

Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist ein 2002 von einem ungarischen Gericht wegen des Handels mit Betäubungsmitteln verurteilter Syrer, dem nach Asylantragstellung in Ungarn im Juni 2012 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden war. Im Jahr 2019 wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft wieder aberkannt und ein subsidiärer Schutzstatus verneint. Die Behörden meinten, dass sein Aufenthalt die nationale Sicherheit gefährde. Im Verfahren wurde dem Rechtsvertreter Akteneinsicht hinsichtlich der Informationen verwehrt, aufgrund derer eine Gefährdung der nationalen Sicherheit angenommen worden war.

Gericht legte EuGH ungarische Verfahrensregelung zur Prüfung vor

Das mit der Sache befasste ungarische Gericht wollte vom EuGH wissen, ob die ungarischen Vorschriften über den Zugang zu Verschlusssachen mit Art. 23 der Richtlinie 2013/323 über den Umfang der Rechtsberatung und der Vertretung der Person, die internationalen Schutz beantragt, vereinbar sind. Es fragt sich auch, ob die ungarische Regelung, wonach sich die Verwaltung auf eine nicht begründete Stellungnahme von mit Aufgaben der nationalen Sicherheit betrauten Fachbehörden stützen muss, ohne selbst die Anwendung der in Rede stehenden Ausschlussklausel prüfen zu können, mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Ungarische Regelung zur Akteneinsicht unionsrechtswidrig

Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine nationale Regelung, die vorsieht, dass ein Rechtsvertreter bei einer Entscheidung über die Aberkennung internationalen Schutzes wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit nur nachträglich nach Genehmigung Zugang zu den Hintergrundinformationen erhalten kann und diese auch nicht für eventuelle spätere Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren verwendet werden dürfen, gegen Unionsrecht verstößt. Dies gelte insbesondere wenn nicht sichergestellt sei, dass die Verteidigungsrechte der betroffenen Person geachtet werden.

Entscheidungen aufgrund unbegründeter Stellungnahmen von Fachbehörden unzulässig

Der Gerichtshof hat außerdem klargestellt, dass die Richtlinien 2013/32 und 2011/955 einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständige Behörde systematisch verpflichtet ist, dann, wenn mit Aufgaben der nationalen Sicherheit betraute Fachbehörden mit einer nicht begründeten Stellungnahme festgestellt haben, dass eine Person eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle, auf der Grundlage dieser Stellungnahme diese Person von der Gewährung subsidiären Schutzes auszuschließen beziehungsweise einen dieser Person zuvor gewährten internationalen Schutz abzuerkennen. Die Asylbehörde müsse über alle relevanten Informationen verfügen und anhand dieser Informationen ihre eigene Würdigung des Sachverhalts und der Umstände vornehmen, um den Inhalt ihrer Entscheidung zu bestimmen und diese umfassend zu begründen.

EuGH, Urteil vom 22.09.2022 - C-159/21

Redaktion beck-aktuell, 22. September 2022.