EuGH: Fragen nach Vereinbarkeit mit EU-Beihilferecht unzulässig
In Ungarn werden auf den Umsatz von Telekommunikations- und Einzelhandelsunternehmen Sondersteuern erhoben. Diese werden dabei hauptsächlich von Unternehmen getragen, die von Personen aus anderen Mitgliedstaaten gehalten werden, weil diese Unternehmen auf den betreffenden ungarischen Märkten die höchsten Umsätze erzielen. Der EuGH erachtet die streitigen Sondersteuern für unionsrechtskonform. Die Vorlagefragen nach einer Vereinbarkeit mit dem EU-Beihilferecht seien bereits unzulässig. Die Steuern fielen nur dann in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des AEU-Vertrags über staatliche Beihilfen, wenn sie die Finanzierungsweise einer Beihilfemaßnahme darstellen und damit Bestandteil dieser Maßnahme sind. Eine Steuer könne aber nur dann Bestandteil einer Beihilfemaßnahme sein, wenn nach der einschlägigen nationalen Regelung zwischen der Steuer und der Beihilfe ein zwingender Verwendungszusammenhang besteht.
Kein zwingender Verwendungszusammenhang zwischen Sondersteuer und Befreiungen
Die von den klagenden Gesellschaften bei den ungarischen Steuerbehörden gestellten Anträge auf Befreiung von den Sondersteuern beträfen aber allgemeine Steuern, deren Einnahmen dem Staatshaushalt zuflössen, ohne speziell zur Finanzierung eines Vorteils für eine bestimmte Gruppe von Steuerpflichtigen verwendet zu werden. Es gebe keinen zwingenden Verwendungszusammenhang zwischen den zulasten der klagenden Gesellschaften erhobenen Sondersteuern und der Befreiung bestimmter Steuerpflichtiger, sodass die etwaige Rechtswidrigkeit einer solchen Befreiung im Hinblick auf das Beihilferecht der Union die Rechtmäßigkeit dieser Sondersteuern nicht berühren kann. Folglich könnten sich die klagenden Gesellschaften vor den nationalen Gerichten nicht auf diese mögliche Rechtswidrigkeit berufen, um sich der Zahlung der Steuern zu entziehen.
Kein Verstoß gegen Niederlassungsfreiheit – Keine unmittelbare Diskriminierung
Anschließend stellt der EuGH fest, dass die Sondersteuern mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar seien. Sie stellten keine verbotene Diskriminierung aufgrund des Sitzes der Gesellschaften dar. Zwar könne die Niederlassungsfreiheit der im Vereinigten Königreich und in den Niederlanden ansässigen Muttergesellschaften der Klägerinnen, soweit sie ihre Tätigkeit durch Tochtergesellschaften auf dem ungarischen Markt ausübten, durch jede die Tochtergesellschaft treffende Beschränkung beeinträchtigt werden. Die streitigen Sondersteuern unterschieden aber nicht nach dem Ort des Gesellschaftssitzes. Alle Unternehmen, die in Ungarn in den betreffenden Wirtschaftszweigen tätig seien, unterlägen den beanstandeten Steuern. Auch gölten die jeweiligen Steuersätze für die verschiedenen Umsatzstufen für alle diese Unternehmen. Die Sondersteuern führen also nicht zu einer unmittelbaren Diskriminierung von Unternehmen, die von (natürlichen oder juristischen) Personen aus anderen Mitgliedstaaten gehalten werden.
Auch keine mittelbare Diskriminierung
Die (starke) Progression der Sondersteuern führe auch nicht zu einer mittelbarer Diskriminierung dieser Unternehmen, erläutert der EuGH weiter. In Bezug auf die in Rede stehenden Steuerjahre, also die Zeiträume vom 01.04.2011 bis zum 31.03.2015 in der Rechtssache Vodafone und vom 01.03.2010 bis zum 28.02.2013 in der Rechtssache Tesco, seien zwar alle nur der ersten Steuerstufe von 0% unterworfenen Steuerpflichtigen von Personen aus Ungarn gehalten worden, während die Steuerpflichtigen in den höheren Steuerstufen mehrheitlich von Personen aus anderen Mitgliedstaaten gehalten worden seien. Der größte Teil der Sondersteuer sei somit von Steuerpflichtigen getragen worden, die von Personen aus anderen Mitgliedstaaten gehalten worden seien.
Steuerbetroffenheit spiegelt Marktdominanz wider
Es stehe den Mitgliedstaaten jedoch frei, das ihnen am geeignetsten erscheinende Steuersystem einzuführen und eine progressive Besteuerung des Umsatzes vorzunehmen, da die Höhe des Umsatzes ein neutrales Unterscheidungskriterium darstelle und ein relevanter Indikator für die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen sei, so der EuGH weiter. In diesem Kontext könne der Umstand, dass der größte Teil der in Rede stehenden Sondersteuern von Steuerpflichtigen getragen werde, die von natürlichen oder juristischen Personen aus anderen Mitgliedstaaten gehalten werden, kein hinreichender Grund sein, um das Vorliegen einer Diskriminierung zu ihren Lasten festzustellen. Denn dieser Umstand erkläre sich dadurch, dass die in den vorliegenden Rechtssachen betroffenen Märkte von Steuerpflichtigen beherrscht werden, die dort die höchsten Umsätze erzielen. Dieser Umstand stelle somit keinen zwingenden, sondern einen aleatorischen Indikator dar, der immer dann vorliegen könne, wenn der betreffende Markt von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten oder Drittstaaten dominiert wird oder von inländischen Unternehmen, deren Eigentümer Personen aus anderen Mitgliedstaaten oder Drittstaaten seien. Überdies betreffe die Basisstufe von 0 % nicht ausschließlich Steuerpflichtige, die von Personen aus Ungarn gehalten werden, denn von dieser Vergünstigung profitierten alle auf dem betreffenden Markt tätigen Unternehmen für den Teil ihres Umsatzes, der die für diese Stufe festgelegte Obergrenze nicht übersteige.
Kein Verstoß gegen Mehrwertsteuerrichtlinie
Schließlich erachtet der EuGH die Sondersteuer auf den Umsatz von Telekommunikationsunternehmen auch für mit der Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar. Entscheidend sei, ob die in Rede stehende Steuer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems beeinträchtigt, indem sie den Waren- und Dienstleistungsverkehr belastet und dabei kommerzielle Umsätze so belaste, wie es für die Mehrwertsteuer kennzeichnend sei. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Steuern die wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer aufweisen. Die ungarischen Rechtsvorschriften sähen jedoch weder die Erhebung der Sondersteuer auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe noch den Abzug der auf der vorhergehenden Stufe bereits entrichteten Steuer vor. Da die betreffende Sondersteuer somit zwei der vier wesentlichen Merkmale nicht erfülle, stehe die Mehrwertsteuerrichtlinie ihrer Einführung nicht entgegen.