EuGH: Um­stei­ge­flug­rei­sen­de kön­nen Ver­spä­tung auf ers­ter Teil­stre­cke bei Ge­rich­ten am End­ziel ein­kla­gen

Wer einen Um­stei­ge­flug von einem EU-Land in ein an­de­res bucht, kann die Flug­ge­sell­schaft, die in einem Mit­glied­staat nur den ers­ten Flug durch­führt, vor den Ge­rich­ten am End­ziel in dem an­de­ren Mit­glied­staat wegen Ver­spä­tung auf eine Aus­gleichs­zah­lung ver­kla­gen, wenn diese auf eine Stö­rung auf dem ers­ten Flug zu­rück­zu­füh­ren ist. Dies hat der Ge­richts­hof der Eu­ro­päi­schen Union mit Ur­teil vom 07.03.2018 ent­schie­den (Az.: C-274/16 und C-448/16).

Flug­gäs­te er­reich­ten End­ziel mit deut­li­cher Ver­spä­tung

Flug­gäs­te buch­ten bei Air Ber­lin und bei Ibe­ria Flug­rei­sen von Spa­ni­en nach Deutsch­land, die je­weils aus zwei Flü­gen be­stan­den (Ibiza – Palma de Mal­lor­ca – Düs­sel­dorf im Fall von Air Ber­lin und Me­lil­la – Ma­drid – Frank­furt am Main im Fall von Ibe­ria), wobei die Bu­chun­gen je­weils die ge­sam­te Reise um­fass­ten. Die ers­ten, in­ner­spa­ni­schen, Flüge wur­den für Air Ber­lin und für Ibe­ria von der spa­ni­schen Flug­ge­sell­schaft Air Nostrum durch­ge­führt. Diese Flüge ver­spä­te­ten sich um 45 be­zie­hungs­wei­se 20 Mi­nu­ten. Dies hatte zur Folge, dass die Flug­gäs­te ihren An­schluss­flug nach Deutsch­land ver­pass­ten. Die Flug­gäs­te er­reich­ten ihr End­ziel letzt­lich mit einer Ver­spä­tung von etwa vier Stun­den im Fall des bei Air Ber­lin ge­buch­ten Flugs und von 13 Stun­den im Fall des bei Ibe­ria ge­buch­ten Flugs.

Vor­la­ge­ge­rich­te: Deut­sche Ge­rich­te nach Brüs­sel I-Ver­ord­nung zu­stän­dig?

Wegen die­ser gro­ßen Ver­spä­tun­gen er­ho­ben die be­trof­fe­nen Flug­gäs­te bei deut­schen Ge­rich­ten Kla­gen gegen Air Nostrum auf eine Aus­gleichs­zah­lung. Das Amts­ge­richt Düs­sel­dorf und der Bun­des­ge­richts­hof hat­ten Zwei­fel, ob deut­sche Ge­rich­te in­ter­na­tio­nal zu­stän­dig seien für Kla­gen von Flug­gäs­ten gegen eine Flug­ge­sell­schaft, die ihren Sitz in einem an­de­ren Mit­glied­staat habe, im Rah­men von aus meh­re­ren Teil­stre­cken be­stehen­den Flug­rei­sen mit End­ziel in Deutsch­land nur die Flüge auf der je­weils ers­ten Teil­stre­cke in­ner­halb des an­de­ren Mit­glied­staats durch­ge­führt habe und nicht der Ver­trags­part­ner der be­tref­fen­den Flug­gäs­te sei. Die bei­den Ge­rich­te baten den EuGH zu klä­ren, ob in einem sol­chen Fall die Be­stim­mun­gen der Brüs­sel I-Ver­ord­nung an­zu­wen­den seien, nach denen eine in einem an­de­ren Mit­glied­staat an­säs­si­ge Per­son vor dem Ge­richt des Er­fül­lungs­orts ver­klagt wer­den könne, wenn ein Ver­trag oder An­sprü­che aus einem Ver­trag den Ge­gen­stand des Ver­fah­rens bil­den.

EuGH be­jaht Zu­stän­dig­keit deut­scher Ge­rich­te

Der EuGH hat ent­schie­den, dass die deut­schen Ge­rich­te grund­sätz­lich für die Ent­schei­dung über Kla­gen auf Aus­gleichs­zah­lun­gen, die gegen eine aus­län­di­sche Flug­ge­sell­schaft wie Air Nostrum er­ho­ben wer­den, zu­stän­dig sind. Denn das End­ziel in Deutsch­land könne nicht nur für den zwei­ten Flug, son­dern auch für den ers­ten, in­ner­spa­ni­schen, Flug als Er­fül­lungs­ort der zu er­brin­gen­den Dienst­leis­tun­gen an­ge­se­hen wer­den.
Wie der EuGH aus­führt, decke die Wen­dung "Ver­trag oder An­sprü­che aus einem Ver­trag" im Sinne der Brüs­sel I Ver­ord­nung eine Klage auf Aus­gleichs­zah­lung, die Flug­gäs­te, die von einer gro­ßen Ver­spä­tung auf einer aus meh­re­ren Teil­stre­cken be­stehen­den Flug­rei­se be­trof­fen seien, gemäß der Ver­ord­nung über Flug­gast­rech­te gegen ein aus­füh­ren­des Luft­fahrt­un­ter­neh­men er­he­ben, das nicht ihr Ver­trags­part­ner sei.

Aus­füh­ren­des Luft­fahrt­un­ter­neh­men han­del­te "stell­ver­tre­tend"

Laut EuGH wird davon aus­ge­gan­gen, dass ein aus­füh­ren­des Luft­fahrt­un­ter­neh­men, das in kei­ner Ver­trags­be­zie­hung mit dem Flug­gast stehe, im Namen der Per­son han­de­le, die in einer Ver­trags­be­zie­hung mit dem be­tref­fen­den Flug­gast stehe, wenn es Ver­pflich­tun­gen im Rah­men die­ser Ver­ord­nung er­fül­le. Somit sei davon aus­zu­ge­hen, dass die­ses Luft­fahrt­un­ter­neh­men (hier: Air Nostrum) Ver­pflich­tun­gen er­fül­le, die es ge­gen­über dem Ver­trags­part­ner der be­tref­fen­den Flug­gäs­te (hier: Air Ber­lin/Ibe­ria) frei­wil­lig ein­ge­gan­gen sei. Diese Ver­pflich­tun­gen fän­den ihren Ur­sprung in dem Ver­trag über eine Be­för­de­rung im Luft­ver­kehr.

An­kunfts­ort der zwei­ten Teil­stre­cke ist "Er­fül­lungs­ort"

Fer­ner sei bei einer aus zwei Teil­stre­cken be­stehen­den Flug­rei­se "Er­fül­lungs­ort" im Sinne der Brüs­sel I-Ver­ord­nung der An­kunfts­ort der zwei­ten Teil­stre­cke, wenn die Be­för­de­run­gen auf den bei­den Teil­stre­cken von zwei ver­schie­de­nen Luft­fahrt­un­ter­neh­men durch­ge­führt wür­den und die Klage auf Aus­gleichs­zah­lung wegen einer gro­ßen Ver­spä­tung am An­kunfts­ort auf eine Stö­rung ge­stützt werde, die auf dem ers­ten Flug ein­ge­tre­ten sei, der von einem Nicht-Ver­trags­part­ner der be­tref­fen­den Flug­gäs­te durch­ge­führt wor­den sei.

Rei­se­end­ziel ein Ort der haupt­säch­li­chen Leis­tungs­er­brin­gung

Die frag­li­chen Ver­trä­ge, die durch eine ein­heit­li­che Bu­chung für die ge­sam­te Reise ge­kenn­zeich­net seien, be­grün­de­ten die Ver­pflich­tung eines Luft­fahrt­un­ter­neh­mens, einen Flug­gast von A nach C zu be­för­dern, so der EuGH. Eine der­ar­ti­ge Be­för­de­rung stel­le eine Dienst­leis­tung dar, bei der einer der Orte, an denen sie haupt­säch­lich er­bracht werde, C sei. Für eine Flug­ge­sell­schaft, die – wie Air Nostrum – nur den ers­ten Flug von A nach B durch­füh­re, sei es hin­rei­chend vor­her­seh­bar, dass die Flug­gäs­te vor den Ge­rich­ten in C gegen sie vor­ge­hen könn­ten.

Bei Sitz in Nicht-EU-Staat in­ter­na­tio­na­le Zu­stän­dig­keit nicht nach Brüs­sel I-Ver­ord­nung zu be­stim­men

In der wei­te­ren Rechts­sa­che C-447/16 hat ein Flug­gast eine chi­ne­si­sche Flug­ge­sell­schaft, Hain­an Air­lines, vor den deut­schen Ge­rich­ten auf eine Aus­gleichs­zah­lung ver­klagt, weil ihm die Be­för­de­rung auf der zwei­ten Teil­stre­cke einer aus zwei Teil­stre­cken be­stehen­den Flug­rei­se (Ber­lin – Brüs­sel – Pe­king) ver­wei­gert wor­den sei. Der EuGH hat hier­zu dar­auf hin­ge­wie­sen, dass sich die in­ter­na­tio­na­le Zu­stän­dig­keit der Ge­rich­te eines jeden Mit­glied­staats nach des­sen ei­ge­nen Ge­set­zen und nicht nach der Brüs­sel I-Ver­ord­nung be­stim­me, wenn der Be­klag­te (hier: Hain­an Air­lines) kei­nen (Wohn-)Sitz im Ho­heits­ge­biet eines Mit­glied­staats habe.

EuGH, Urteil vom 07.03.2018 - C-274/16

Redaktion beck-aktuell, 7. März 2018.

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