Systematische Erhebung biometrischer und genetischer Daten EU-rechtswidrig

Die systematische Erhebung biometrischer und genetischer Daten aller beschuldigten Personen für die Zwecke ihrer polizeilichen Registrierung verstößt gegen die Anforderung, einen erhöhten Schutz gegen die Verarbeitung sensibler personenbezogener Daten zu gewährleisten. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union im Zusammenhang mit einem Fall aus Bulgarien entschieden.

Beschuldigte soll Daten für DNA-Profil liefern

Eine Frau wurde im Rahmen eines von den bulgarischen Behörden eingeleiteten Strafverfahrens wegen Steuerhinterziehung beschuldigt, an einer kriminellen Vereinigung beteiligt zu sein. Die bulgarische Polizei forderte die Frau auf, zur Registrierung Fingerabdrücke und Fotos von sich machen zu lassen und sich der Entnahme von Proben zur Erstellung eines DNA-Profils zu unterziehen. Da die Frau die Erhebung verweigerte, beantragte die Polizei gestützt auf das nationale Recht, das die "polizeiliche Registrierung" von Personen vorsieht, die einer vorsätzlichen, von Amts wegen verfolgten Straftat beschuldigt werden, die zwangsweise Durchführung der Datenerhebung gerichtlich zu bewilligen. Das angerufene Gericht hegte Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften mit der Richtlinie 2016/680 (zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Strafverfolgung) in Verbindung mit der EU-Grundrechte-Charta und hat den EuGH daher um Vorabentscheidung ersucht.

Einschränkung des effektiven Rechtsschutzes verhältnismäßig

Der EuGH stellt in seinem Urteil fest, dass weder die Richtlinie 2016/680 noch die EU-Grundrechte-Charta nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen das Gericht verpflichtet ist, eine zwangsweise Durchführung der Erhebung biometrischer und genetischer Daten von beschuldigten Personen zu bewilligen, obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch nicht beurteilen kann, ob gegen die beschuldigte Person tatsächlich ein begründeter Verdacht besteht. Die damit einhergehende Einschränkung des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes sei nicht unverhältnismäßig, sofern das nationale Recht später eine effektive gerichtliche Kontrolle der Voraussetzungen der Beschuldigung gewährleiste. Andernfalls bestünde nämlich die Gefahr, den Ablauf der strafrechtlichen Ermittlungen zu behindern und die Fähigkeit der Ermittler zur Aufklärung weiterer Straftaten durch einen Datenabgleich übermäßig einzuschränken.

Unschuldsvermutung wird geachtet

Das Recht auf die Unschuldsvermutung stehe einer derartigen Verpflichtung des Gerichts ebenfalls nicht entgegen: Zum einen beschränke sich die Datenerhebung auf jene Personen, deren strafrechtliche Verantwortlichkeit noch nicht festgestellt worden ist. Mithin könne diese Erhebung nicht den Eindruck der Behörden widerspiegeln, dass diese Personen schuldig sind. Zum anderen stelle der Umstand, dass das Gericht, welches über die Schuld der betroffenen Person zu entscheiden hat, in diesem Stadium des Strafverfahrens nicht beurteilen kann, ob die Beweise, auf denen die Beschuldigung dieser Person beruht, ausreichend sind, eine Garantie für die Achtung ihres Rechts auf die Unschuldsvermutung dar.

Aber: Systematische Datenerhebung ohne Verhältnismäßigkeitsprüfung rechtswidrig

Allerdings stehe die Richtlinie 2016/680 solchen nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die eine systematische Erhebung biometrischer und genetischer Daten aller einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigten Personen zur Registrierung vorsehen, ohne die zuständige Behörde dazu zu verpflichten, zu prüfen, ob die Erhebung auch verhältnismäßig ist. Die nationale Regelung müsse eine Verpflichtung der Behörden vorsehen, zum einen zu überprüfen und nachzuweisen, ob beziehungsweise dass die Erhebung für die Erreichung der konkret verfolgten Ziele unbedingt erforderlich ist, und zum anderen, ob beziehungsweise dass diese Ziele nicht durch Maßnahmen erreicht werden können, die einen weniger schwerwiegenden Eingriff in die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person darstellen.

Erhöhter Schutz vor Verarbeitung sensibler Daten

Die Richtlinie 2016/680 solle einen erhöhten Schutz gegen eine Verarbeitung sensibler Daten, zu denen biometrische und genetische Daten gehören, gewährleisten, da eine solche erhebliche Risiken für die Grundrechte und Grundfreiheiten mit sich bringen kann. Die dort genannte Anforderung, dass diese Verarbeitung "nur dann erlaubt [ist], wenn sie unbedingt erforderlich ist", sei dahin auszulegen, dass sie verschärfte Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung dieser sensiblen Daten festlegt. Außerdem sei die Tragweite dieser Anforderung auch anhand der Grundsätze in Bezug auf die Datenverarbeitung zu bestimmen, wie etwa der Zweckbindung und der Datenminimierung.

Gefahr der Ausuferung der Datenerhebung - Begriff "vorsätzliche Offizialstraftat" zu weit

In diesem Zusammenhang verstoßen laut EuGH solche nationale Rechtsvorschriften, die die systematische Datenerhebung aller einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigten Personen vorsehen, grundsätzlich gegen diese Anforderung. Sie könnten nämlich unterschiedslos und allgemein zur Erhebung von Daten der meisten beschuldigten Personen führen, da der Begriff "vorsätzliche Offizialstraftat" besonders allgemein gehalten sei und auf eine große Zahl von Straftaten unabhängig von ihrer Art, ihrer Schwere, den besonderen Umstände dieser Straftaten, ihres etwaigen Zusammenhangs mit anderen laufenden Verfahren, den Vorstrafen der betroffenen Person oder von deren individuellem Profil angewendet werden kann.

EuGH, Urteil vom 26.01.2023 - C-205/21

Redaktion beck-aktuell, 27. Januar 2023.