EuGH: Steuerbefreiungen für wirtschaftliche Tätigkeiten von Kirchen können verbotene staatliche Beihilfen sein

Die Steuerbefreiungen, die die katholische Kirche in Spanien erhält, können verbotene staatliche Beihilfen darstellen, wenn und soweit sie für wirtschaftliche Tätigkeiten gewährt werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 27.06.2017 entschieden (Az.: C-74/16).

Katholischer Schulträger beruft sich bei Baumaßnahme auf Steuerbefreiung

Ein vor dem Beitritt Spaniens zu den Europäischen Gemeinschaften geschlossenes Abkommen zwischen Spanien und dem Heiligen Stuhl sieht verschiedene Steuerbefreiungen zugunsten der katholischen Kirche vor. In der vorliegenden Rechtssache beruft sich eine religiöse Kongregation der katholischen Kirche in ihrer Eigenschaft als Trägerin einer kirchlichen Schule in der Nähe von Madrid auf dieses Abkommen, um die Erstattung einer Gemeindesteuer auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen in Höhe von knapp 24.000 Euro zu erwirken. Diese hatte sie auf Baumaßnahmen an einem Schulgebäude, in dem die Aula der Schule untergebracht ist, entrichtet. 

Räumlichkeiten werden auch für privat finanzierten Unterricht genutzt

Die fraglichen Räumlichkeiten werden für staatlich reglementierten Primar- und Sekundarunterricht genutzt, der dem Unterricht an öffentlichen Schulen gleichsteht und vollständig aus dem öffentlichen Haushalt finanziert wird. Sie werden aber auch für freien Vorschulunterricht, außerschulischen Unterricht und Unterricht im Anschluss an die Schulpflicht genutzt, der nicht aus dem öffentlichen Haushalt subventioniert wird und für den Einschreibegebühren erhoben werden.

Steuerbefreiung als verbotene staatliche Beihilfe einzustufen?

Die Steuerbehörde lehnte den Erstattungsantrag ab. Die Steuerbefreiung finde keine Anwendung, da sie für eine Tätigkeit der katholischen Kirche begehrt werde, mit der kein strikt religiöser Zweck verfolgt werde. Das mit der Klage der religiösen Kongregation befasste Madrider Verwaltungsgericht rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an. Es wollte wissen, ob die streitige Steuerbefreiung hier eine durch das EU-Recht verbotene staatliche Beihilfe darstelle. In der Rechtssache wird damit zugleich die grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob eine verbotene staatliche Beihilfe vorliegen kann, wenn ein Mitgliedstaat eine Religionsgemeinschaft von bestimmten Steuern befreit, und zwar auch für Tätigkeiten, die keinen strikt religiösen Zweck haben.

EuGH: Steuerbefreiung für wirtschaftliche Tätigkeiten kann verbotene staatliche Beihilfe sein

Laut EuGH kann eine Steuerbefreiung eine verbotene staatliche Beihilfe darstellen, wenn und soweit die in den fraglichen Räumlichkeiten ausgeübten Tätigkeiten wirtschaftlicher Art sind. Dies habe das vorlegende Gericht zu prüfen. Dabei dürften nur die nicht vom spanischen Staat subventionierten Unterrichtstätigkeiten wirtschaftlichen Charakter haben, da sie im Wesentlichen mittels privater finanzieller Beteiligungen an den Schulgebühren finanziert werden, so der EuGH. Das nationale Gericht müsse außerdem klären, ob und in welchem Umfang die fraglichen Räumlichkeiten, zumindest teilweise, für solche wirtschaftlichen Tätigkeiten genutzt werden.

Selektiver wirtschaftlicher Vorteil und Einsatz staatlicher Mittel gegeben

Nach Ansicht des EuGH erfüllt die Befreiung von der fraglichen Gemeindesteuer zumindest zwei der vier Voraussetzungen für die Einstufung als verbotene staatliche Beihilfe: Sie würde der die Schule betreibenden Kongregation einen selektiven wirtschaftlichen Vorteil verschaffen und zu einer Verringerung der Einnahmen der Gemeinde und damit zum Einsatz staatlicher Mittel führen.

Beihilfen-Schwellenwert überschritten?

Zu den beiden weiteren Voraussetzungen (Auswirkungen des wirtschaftlichen Vorteils auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten und Vorliegen einer Wettbewerbsverzerrung) legt der EuGH dar, dass die streitige Befreiung möglicherweise dazu führe, die Erbringung der Unterrichtsleistungen der religiösen Kongregation im Vergleich zu Einrichtungen, die auf dem gleichen Markt tätig seien, attraktiver zu gestalten. Das EU-Recht bestimme allerdings, dass Beihilfen, die einen Gesamtbetrag von 200.000 Euro innerhalb von drei Jahren nicht übersteigen, den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen und den Wettbewerb nicht verfälschen oder zu verfälschen drohen, so dass solche Maßnahmen vom Begriff der staatlichen Beihilfen ausgenommen sind. Das nationale Gericht müsse daher prüfen, ob dieser Schwellenwert im vorliegenden Fall erreicht wird, wobei nur die Vorteile zu berücksichtigen seien, die die religiöse Kongregation aus ihren etwaigen wirtschaftlichen Tätigkeiten ziehe.

Steuerbefreiung wäre als neue Beihilfe zu qualifizieren

Schließlich erläutert der EuGH, dass die streitige Steuerbefreiung, sollte sie eine staatliche Beihilfe darstellen, als neue Beihilfe zu qualifizieren wäre, auch wenn das Abkommen zwischen Spanien und dem Heiligen Stuhl vor dem EU-Beitritt Spaniens abgeschlossen worden sei. Denn die spanische Steuer auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen sei erst nach diesem Beitritt eingeführt worden. Sollte das nationale Gericht feststellen, dass eine staatliche Beihilfe vorliegt, müsste diese also der Kommission mitgeteilt werden und dürfte nicht ohne ihre Zustimmung durchgeführt werden, so der EuGH.

EuGH, Urteil vom 27.06.2017 - C-74/16

Redaktion beck-aktuell, 27. Juni 2017.

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