EuGH moniert erneut Altersdiskriminierung österreichischer Beamten

Das österreichische Besoldungs- und Vorrückungssystem der Beamten und der Vertragsbediensteten des Staates verstößt weiterhin gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit zwei Urteilen vom 08.05.2019 klargestellt. Solange der österreichische Gesetzgeber keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung in Bezug auf die Anrechnung der vor Vollendung des 18. Lebensjahrs erworbenen Berufserfahrung erlässt, haben die durch das alte System benachteiligten Personen nach der Entscheidung des EuGH Anspruch auf die gleichen Vorteile wie ihre durch dieses System begünstigten Kollegen und insbesondere auf eine Ausgleichszahlung (Az.: C-396/17 und C-24/17, BeckRS 2019, 7879).

EuGH war bereits in früheren Verfahren von Diskriminierung ausgegangen

In Österreich schlossen die Besoldungs- und Vorrückungssysteme für Beamte und für Vertragsbedienstete des Staates ursprünglich die Anrechnung von Berufserfahrung, die vor Vollendung des 18. Lebensjahrs erworben wurde, aus. Nachdem der Gerichtshof festgestellt hatte, dass ein solcher Ausschluss eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung wegen des Alters darstellt (BeckRS 2009, 70674), nahm der österreichische Gesetzgeber im Jahr 2010 eine erste Reform dieser Systeme vor, die an ihrem diskriminierenden Charakter jedoch nichts änderte (BeckRS 2014, 82339).

Nationale Gerichte zweifeln an Vereinbarkeit der Neuregelung mit EU-Recht

Die fraglichen Systeme wurden in den Jahren 2015 und 2016 erneut reformiert, um die Diskriminierung zu beseitigen. Die neue Reform sieht rückwirkend vor, dass die Beamten und Vertragsbediensteten im Dienststand in ein neues Besoldungs- und Vorrückungssystem übergeleitet werden, in dem sich ihre erste Einstufung nach ihrem letzten gemäß dem früheren System bezogenen Gehalt richtet. Der vom Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft öffentlicher Dienst, angerufene Oberste Gerichtshof (Österreich) und das von einem Polizisten, Martin Leitner, angerufene Bundesverwaltungsgericht (Österreich) fragen den Gerichtshof unter anderem, ob diese neuen Systeme weiterhin gegen das Unionsrecht (Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Gleichbehandlungsrichtlinie (RL 2000/78/EU)) verstoßen.

Gehalt nur wegen Einstellungsalter niedriger

Der EuGH bejaht dies. Mit den neuen Systemen werde eine Ungleichbehandlung der durch das alte System benachteiligten Personen (die ihre Berufserfahrung, sei es auch nur teilweise, vor Vollendung des 18. Lebensjahrs erworben haben) und der durch dieses System begünstigten Personen (die eine gleichartige Berufserfahrung von vergleichbarer Dauer nach Vollendung des 18. Lebensjahrs erworben haben) beibehalten, da das Gehalt, das Erstere beziehen, allein wegen ihres Einstellungsalters niedriger sei als das Letzteren gezahlte Gehalt, obwohl sie sich in vergleichbaren Situationen befinden.

Diskriminierung wegen des Alters beibehalten

Da diese Ungleichbehandlung wegen des Alters nach den neuen Systemen nicht nur während eines Übergangszeitraums, sondern endgültig fortbestehe, könne sie weder durch das legitime Ziel der Besitzstandswahrung und des Schutzes des berechtigten Vertrauens gerechtfertigt werden noch durch Haushaltserwägungen oder administrative Erwägungen. Der EuGH stellt deshalb fest, dass die neuen Systeme nicht geeignet sind, die Diskriminierung der durch die alten Besoldungs- und Vorrückungssysteme benachteiligten Beamten und Vertragsbediensteten zu beseitigen. Sie behalten im Gegenteil nach Ansicht des EuGH die Diskriminierung wegen des Alters gegenüber diesen Personen bei.

EU-Recht steht nationalen Regelungen entgegen

Der Gerichtshof antwortet daher dem Obersten Gerichtshof und dem Bundesverwaltungsgericht, dass das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters rückwirkend in Kraft gesetzten nationalen Regelungen wie den in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehe, wonach zur Beseitigung einer Diskriminierung wegen des Alters die Überleitung von Beamten oder Vertragsbediensteten im Dienststand in ein neues Besoldungs- und Vorrückungssystem vorgesehen ist, in dem sich ihre erste Einstufung nach ihrem letzten gemäß dem alten System bezogenen Gehalt richtet.

Nationale Vorschriften gegebenenfalls unangewendet zu lassen

Das nationale Gericht sei, wenn nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit der Gleichbehandlungsrichtlinie ausgelegt werden könnten, verpflichtet, den Rechtsschutz, der dem Einzelnen aus dieser Richtlinie erwächst, zu gewährleisten und für ihre volle Wirkung zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lasse.

Diskriminierte Beamte haben Anspruch auf Ausgleichszahlung 

Wenn eine unionsrechtswidrige Diskriminierung festgestellt wurde und solange keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung erlassen wurden, setze die Wiederherstellung der Gleichbehandlung in Fällen wie denjenigen der Ausgangsverfahren somit voraus, dass den durch die alten Systeme benachteiligten Beamten und Vertragsbediensteten in Bezug auf die Berücksichtigung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegter Vordienstzeiten und bei der Vorrückung in der Gehaltstabelle die gleichen Vorteile gewährt werden wie den durch diese Systeme begünstigten Beamten und Vertragsbediensteten. Infolgedessen hätten die diskriminierten Beamten und Vertragsbediensteten auch einen Anspruch gegen ihren Arbeitgeber auf eine Ausgleichszahlung in Höhe der Differenz zwischen dem Gehalt, das sie hätten beziehen müssen, wenn sie nicht diskriminiert worden wären, und dem tatsächlich von ihnen bezogenen Gehalt.

Frage nach Vereinbarkeit mit Arbeitnehmerfreizügigkeit

Der Oberste Gerichtshof hat den EuGH ferner nach der Vereinbarkeit der Neuregelung für die Anrechnung von Berufserfahrung der Vertragsbediensteten des Staates mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit gefragt. Nach dem neuen System seien für die Bestimmung des Besoldungsdienstalters eines Vertragsbediensteten die Vordienstzeiten, die in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft oder zu einem Gemeindeverband eines Mitgliedstaats des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), der Türkischen Republik oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft, zu einer Einrichtung der Europäischen Union, zu einer zwischenstaatlichen Einrichtung, der Österreich angehört, oder zu ähnlichen Stellen zurückgelegt wurden, zur Gänze anzurechnen. Dagegen würden alle anderen Vordienstzeiten nur im Ausmaß von bis zu zehn Jahren angerechnet und nur sofern sie einschlägig seien.

EuGH sieht nicht gerechtfertigte Behinderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit

Der EuGH sieht darin einen Verstoß gegen das Unionsrecht. Die Neuregelung könne Wanderarbeitnehmer, die bei anderen Arbeitnehmern eine einschlägige Berufserfahrung von mehr als zehn Jahren erworben haben oder gerade erwerben, davon abhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, ohne dass diese Behinderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gerechtfertigt wäre. Sie sei nämlich nicht zur Gewährleistung der Verwirklichung des legitimen Ziels geeignet, eine in dem betreffenden Bereich erworbene Erfahrung zu honorieren, die es dem Arbeitnehmer ermögliche, seine Arbeit besser zu verrichten, da sie die einschlägige Berufserfahrung nur begrenzt berücksichtige.

Ziel der Arbeitgeberbindung kann nicht erreicht werden

Mit ihr könne auch das Ziel, die Arbeitnehmer an ihre Arbeitgeber zu binden, nicht erreicht werden, da sie angesichts der Vielzahl von Arbeitgebern, die für eine vollständige Anrechnung in Frage kommen, eine größtmögliche Mobilität der Beschäftigung innerhalb einer Gruppe rechtlich eigenständiger Arbeitgeber ermöglichen und nicht die Treue eines Mitarbeiters gegenüber einem bestimmten Arbeitgeber honorieren soll.

EuGH, Urteil vom 08.05.2019 - C-396/17

Redaktion beck-aktuell, 8. Mai 2019.

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