Mittelbare Diskriminierung von Frauen durch Berechnung der Altersrente?
Die Ausgangsklägerin hatte die von der spanischen staatlichen Sozialversicherungsanstalt vorgenommene Berechnung ihrer Altersrente beanstandet, weil diese unter Berücksichtigung der Tatsache erfolgt sei, dass sie einen Großteil ihres Arbeitslebens in Teilzeit gearbeitet hatte. Da die Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten Frauen seien, liege eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vor. Das in zweiter Instanz zuständige spanische Gericht erklärte, dass sich das spanische Recht betreffend die Berechnung der Altersrente für Teilzeitbeschäftigte meistens ungünstig auswirke. Es meint, die spanischen Rechtsvorschriften führten zu einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Es liege ein Verstoß gegen die Richtlinie über den Grundsatz der Gleichbehandlung (RL 79/7/EWG) vor, da nach Angaben des spanischen Statistikamts im ersten Quartal 2017 75% der Teilzeitbeschäftigten Frauen gewesen seien.
EuGH soll Vereinbarkeit der Berechnung mit EU-Recht klären
Das spanische Berufungsgericht rief den EuGH an. Dieser möge klären, ob die spanische Regelung gegen die Richtlinie verstößt. Gemäß dieser Regelung wird die Höhe der beitragsbezogenen Altersrente eines Teilzeitbeschäftigten wie folgt berechnet: Zunächst wird anhand der tatsächlich bezogenen Gehälter und der tatsächlich geleisteten Beiträge eine Berechnungsgrundlage ermittelt. Anschließend wird die Berechnungsgrundlage mit einem Prozentsatz multipliziert, der von der Dauer des Beitragszeitraums abhängt. Auf diesen Zeitraum wird wiederum ein Teilzeitkoeffizient angewendet, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit in Teilzeit und der von einem vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten geleisteten Arbeitszeit entspricht, und er wird durch die Anwendung eines Koeffizienten von 1,5 erhöht.
EuGH hält mittelbare Diskriminierung für möglich
Die Richtlinie stehe der spanischen Regelung entgegen, sofern sich diese als für weibliche Arbeitnehmer besonders nachteilig erweist, entschied der EuGH. Die Richtlinie verbiete jegliche unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, unter anderem bei der Berechnung der Leistungen im Bereich der sozialen Sicherheit. Eine unmittelbare Diskriminierung verneinte der EuGH. Allerdings sei eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in einer Situation zu sehen, in der dem Anschein nach neutrale Vorschriften Personen des einen Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können. Eine solche Benachteiligung liege vor, wenn sich eine Regelung auf einen signifikant höheren Anteil von Personen eines Geschlechts im Vergleich zu Personen des anderen Geschlechts ungünstig auswirkt.
Spanische Regelung von Nachteil für die meisten Teilzeitbeschäftigten
Der Gerichtshof stellt fest, dass die in Rede stehenden nationalen Vorschriften in den meisten Fällen nachteilige Wirkungen für Teilzeitbeschäftigte im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten haben. Für die in geringem Umfang Teilzeitbeschäftigten (d. h. diejenigen, die im Durchschnitt weniger als zwei Drittel der normalen Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten gearbeitet haben), sei der auf die Berechnungsgrundlage anwendbare Teilzeitkoeffizient niedriger als der, der auf die Berechnungsgrundlage von Vollzeitbeschäftigten anwendbar ist. Daraus folge, dass diese Arbeitnehmer, die nach den dem Gerichtshof vorliegenden Akten 65% der Teilzeitbeschäftigten ausmachen, wegen der Anwendung dieses Teilzeitkoeffizienten einen Nachteil erleiden.
Spanisches Gericht muss besondere Betroffenheit von Frauen überprüfen
Das spanische Gericht müsse nun prüfen, ob die ihm vorgelegten statistischen Daten über die Verteilung der männlichen und weiblichen Arbeitnehmer aussagekräftig, repräsentativ und signifikant sind. Sollte das spanische Gericht auf der Grundlage dieser Daten und gegebenenfalls anderer relevanter Gesichtspunkte zu dem Schluss kommen, dass die in Rede stehende nationale Regelung Frauen im Vergleich zu Männern besonders benachteiligt, verstieße eine solche Regelung gegen die Richtlinie, es sei denn, sie wäre objektiv gerechtfertigt.
Legitimes Ziel der Sozialpolitik könnte Ungleichbehandlung rechtfertigen
Der Gerichtshof prüfte sodann, ob die spanische Regelung einem legitimen Ziel der Sozialpolitik dient. Er wies zu diesem Zweck darauf hin, dass eine Maßnahme, die bewirkt, dass das Ruhegehalt eines Arbeitnehmers stärker als unter proportionaler Berücksichtigung seiner Zeiten der Teilzeitbeschäftigung gekürzt wird, nicht dadurch als objektiv gerechtfertigt angesehen werden kann, dass in diesem Fall das Ruhegehalt einer geminderten Arbeitsleistung entspricht.
In Frage stehende Regelung besteht aus zwei Bestandteilen
Der Gerichtshof stellte weiter fest, dass die in Rede stehende nationale Regelung zwei Bestandteile enthält, die bewirken können, dass der Betrag der Altersrente von Teilzeitbeschäftigten geringer ausfällt. Erstens werde die Berechnungsgrundlage der Altersrente nach Maßgabe der Beitragsbemessungsgrundlagen ermittelt, die aus den Gehältern bestehen, die entsprechend den geleisteten Arbeitsstunden tatsächlich bezogen wurden. Diese Berechnungsgrundlage sei somit für einen Teilzeitbeschäftigten niedriger als die Berechnungsgrundlage eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten. Zweitens werde, obwohl diese Berechnungsgrundlage mit einem Prozentsatz multipliziert wird, der sich nach der Zahl der Beitragstage richtet, diese Zahl von Tagen selbst mit einem Teilzeitkoeffizienten multipliziert, der dem Verhältnis zwischen der vom betreffenden Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitszeit in Teilzeit und der von einem vergleichbaren Arbeitnehmer in Vollzeit geleisteten Arbeitszeit entspricht.
Teilzeitkoeffizient führt zu überproportionaler Reduzierung der Rente
Obwohl dieser zweite Bestandteil durch die Tatsache abgemildert wird, dass die nach Anwendung des Teilzeitkoeffizienten ermittelte Zahl der Beitragstage durch die Anwendung eines Koeffizienten von 1,5 erhöht wird, sei der erste Bestandteil bereits geeignet, das verfolgte Ziel zu erreichen, das unter anderem in der Wahrung des beitragsbezogenen Systems der sozialen Sicherheit besteht. Folglich gehe die zusätzliche Anwendung eines Teilzeitkoeffizienten über das hinaus, was erforderlich sei, um dieses Ziel zu erreichen, und führe in Bezug auf die Gruppe der Arbeitnehmer, die in geringem Umfang teilzeitbeschäftig waren, zu einer Reduzierung des Betrags der Altersrente, die stärker ist als die Reduzierung, die sich aus der bloßen Berücksichtigung pro rata temporis ihrer Arbeitszeit ergäbe.