BVerwG: EuGH soll über Vorratsdatenspeicherung entscheiden

Der Gerichtshof der Europäischen Union soll Zweifel an der Auslegung der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (Richtlinie 2002/58/EG) klären. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 25.09.2019 eine entsprechende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt. Von der Beantwortung dieser Frage hänge die Anwendbarkeit der im Telekommunikationsgesetz enthaltenen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung ab, erläuterte das Gericht. Bis zur Entscheidung des EuGH hat das BVerwG die zugrundeliegenden Revisionsverfahren ausgesetzt (Az.: 6 C 12.18 und 6 C 13.18).

Streit um Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten

Die Klägerinnen der beiden Ausgangsverfahren erbringen öffentlich zugängliche Internetzugangsdienste beziehungsweise Telefondienste für Endnutzer. Sie wenden sich gegen die ihnen durch § 113a Abs. 1 TKG in Verbindung mit § 113b TKG in der Fassung des Gesetzes vom 10.12.2015 auferlegte Pflicht, Telekommunikationsverkehrsdaten ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern. Die für eine Dauer von zehn Wochen zu speichernden Daten umfassen unter anderem die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Beginn und Ende der Verbindung oder der Internetnutzung beziehungsweise die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs einer Kurznachricht, zugewiesene Internetprotokoll-Adressen und Benutzerkennungen sowie Kennungen der Anschlüsse und Endgeräte. Für eine Dauer von vier Wochen zu speichern sind zudem Standortdaten, also im Wesentlichen die Bezeichnung der bei Beginn der Verbindung genutzten Funkzelle. Der Inhalt der Kommunikation, Daten über aufgerufene Internetseiten, Daten von E-Mail-Diensten sowie Daten, die den Verbindungen zu oder von bestimmten Anschlüssen in sozialen oder kirchlichen Bereichen zugrunde liegen, dürfen hingegen nicht gespeichert werden. Mit Ausnahme der Internetprotokoll-Adresse dürfen die auf Vorrat gespeicherten Daten von den zuständigen Behörden nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten oder zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand des Bundes oder eines Landes verwendet werden.

Vorinstanz ging von Verstoß gegen Unionsrecht aus

Das Verwaltungsgericht hatte in erster Instanz festgestellt, dass die Klägerinnen nicht verpflichtet sind, die im Gesetz genannten Telekommunikations-Verkehrsdaten ihrer Kunden, denen sie den Internetzugang beziehungsweise den Zugang zu öffentlichen Telefondiensten vermitteln, zu speichern. Die Speicherpflicht verstoße gegen Unionsrecht und sei daher in den Fällen der Klägerinnen unanwendbar. Die grundsätzlichen Rechtsfragen zur Reichweite und zu den materiell-rechtlichen Anforderungen des im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Unionsrechts seien durch das Urteil des EuGH vom 21.12.2016 (NVwZ 2017, 1025) geklärt. Gegen die erstinstanzlichen Entscheidungen hat die Beklagte, vertreten durch die Bundesnetzagentur, jeweils Sprungrevision eingelegt.

BVerwG sieht noch Klärungsbedarf

Die Entscheidung des BVerwG hänge davon ab, ob der durch die gesetzliche Speicherpflicht bewirkte Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2002/58/EG geschützte Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation auf der Grundlage der Erlaubnisnorm des Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt ist, betonte jetzt das BVerwG. Zwar habe der EuGH abschließend geklärt, dass die Richtlinie auf nationale Regelungen der Vorratsspeicherung anwendbar ist und dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie im Licht der Art. 7, 8 und Art. 11 sowie des Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für Zwecke der Bekämpfung von Straftaten eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsieht. Klärungsbedarf verbleibe jedoch in Bezug auf die Frage, ob eine nationale Regelung, die – wie § 113a TKG in Verbindung mit § 113b TKG – eine Pflicht zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung vorsieht, unter keinen Umständen auf Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie gestützt werden kann.

Spannungsverhältnis zwischen Gewährleistung der erforderlichen Sicherheit und Privatsphäre

Hierbei sei zu berücksichtigen, dass der Kreis der von der Speicherpflicht erfassten Kommunikationsmittel und die Speicherdauer gegenüber den schwedischen und britischen Regelungen, über die der EuGH zu entscheiden hatte, reduziert sei. Ferner würden die deutschen Regelungen strenge Beschränkungen im Hinblick auf den Schutz der gespeicherten Daten und den Zugang hierzu enthalten. Außerdem bestehe angesichts des mit den neuen Telekommunikationsmitteln verbundenen spezifischen Gefahrenpotenzials ein Spannungsverhältnis zwischen den in den Art. 7 und 8 GRC verankerten Grundrechten auf Achtung der Privatsphäre und auf Schutz personenbezogener Daten einerseits und der aus Art. 6 GRC folgenden Pflicht der Mitgliedstaaten, die Sicherheit der sich in ihrem Hoheitsgebiet aufhaltenden Personen zu gewährleisten, andererseits. Ein ausnahmsloses Verbot der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung würde den Handlungsspielraum der nationalen Gesetzgeber in einem Bereich der Strafverfolgung und der öffentlichen Sicherheit, der nach Art. 4 Abs. 2 Satz 3 EUV jedenfalls grundsätzlich weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten fällt, erheblich einschränken und sich damit tendenziell auch von der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention entfernen.

Gerichte aus anderen Mitgliedstaaten zweifeln an generellem Verbot

Schließlich gehe aus verschiedenen beim EuGH bereits anhängigen Vorabentscheidungsersuchen aus anderen Mitgliedstaaten hervor, dass die vorlegenden Gerichte insbesondere im Hinblick auf Art. 6 GRC und Art. 4 EUV Zweifel daran haben, ob die Ausführungen des EuGH im Urteil vom 21.12.2016 als generelles Verbot einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu verstehen sind, das weder im Hinblick auf die Erheblichkeit der zu bekämpfenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit noch im Rahmen einer "Kompensation" durch restriktive Zugriffsregelungen und hohe Sicherheitsanforderungen überwunden werden kann. Führe das Vorabentscheidungsverfahren zu dem Ergebnis, dass § 113a TKG in Verbindung mit § 113b TKG unionsrechtswidrig ist, seien die Klägerinnen auch in ihren Rechten verletzt, betonte das BVerwG. Denn die Speicherpflicht stelle einen Eingriff in die durch Art. 16 GRC garantierte unternehmerische Freiheit der Klägerinnen dar. Verstoßen diese Regelungen gegen Unionsrecht, dürften sie wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden. Dann sei diese Grundrechtseinschränkung nicht im Sinne des Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GRC "gesetzlich vorgesehen".

BVerwG, Beschluss vom 25.09.2019 - 6 C 12.18

Redaktion beck-aktuell, 26. September 2019 (dpa).

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