Standesamt-Scheidung im EU-Ausland ist automatisch anzuerkennen
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Eine in Italien von einem Standesbeamten - und nicht wie hierzulande von einem Richter - ausgesprochene Ehescheidung durch Beurkundung einer Scheidungsvereinbarung der Ehegatten nach Prüfung des Einvernehmens und des Vereinbarungsinhalts stellt eine Entscheidung im Sinn der Brüssel-IIa-Verordnung dar und ist daher automatisch anzuerkennen. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Streit um Anerkennung außergerichtlicher Ehescheidung

Ein Paar, sie mit deutscher und italienischer Staatsangehörigkeit, er Italiener, heiratete 2013 in Deutschland. Wenige Jahre später ließen sie sich scheiden. Im Anschluss an ein außergerichtliches Scheidungsverfahren nach italienischem Recht stellte ihnen der befasste italienische Standesbeamte 2018 eine Bescheinigung über die Ehescheidung aus. Die deutschen Standesamtsbehörden verweigerten die Beurkundung dieser Scheidung wegen fehlender vorheriger Anerkennung durch die zuständige deutsche Landesjustizverwaltung. Der mit der Rechtsbeschwerde in der Sache befasste Bundesgerichtshof rief den EuGH an, um klären zu lassen, ob der Begriff der Entscheidung in der Brüssel-IIa-Verordnung über die Anerkennung von Entscheidungen über Ehescheidungen den Fall einer außergerichtlichen Scheidung erfasst, die durch eine von den Ehegatten geschlossene Vereinbarung bewirkt und von einem Standesbeamten eines Mitgliedstaats nach dessen Rechtsvorschriften ausgesprochen wurde.

EuGH: "Entscheidung" über Ehescheidung auch durch Behörden möglich

Laut EuGH umfasst in Ehescheidungssachen der Begriff der Entscheidung im Sinn der Brüssel-IIa-Verordnung jede Entscheidung über eine Ehescheidung in einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Verfahren, sofern das Recht der Mitgliedstaaten auch nicht gerichtlichen Behörden Zuständigkeiten in Ehescheidungssachen zuweist. Dann müsse jede Entscheidung einer solchen Behörde automatisch anerkannt werden, sofern die in der Brüssel-IIa-Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt seien.

Prüfungserfordernis maßgebliches Kriterium 

Darüber hinaus verweist der EuGH auf seine Rechtsprechung, wonach von der Brüssel-IIa-Verordnung nur Ehescheidungen erfasst würden, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde oder unter deren Kontrolle ausgesprochen werden, was reine Privatscheidungen ausschließe. Daraus leitet er ab, dass jede Behörde, die eine "Entscheidung" zu treffen habe, die Kontrolle über den Ausspruch der Ehescheidung behalten müsse. Sie müsse deshalb bei einvernehmlichen Ehescheidungen prüfen, ob die Scheidungsvoraussetzungen nach dem nationalen Recht vorliegen und ob das Einvernehmen der Ehegatten über die Scheidung tatsächlich gegeben und gültig ist. Laut EuGH stellt dieses Prüfungserfordernis das Kriterium zur Abgrenzung des Begriffs "Entscheidung" von den ebenfalls in der Brüssel-IIa-Verordnung vorkommenden Begriffen "öffentliche Urkunde" und "Vereinbarung zwischen den Parteien" dar.

Hier automatisch anzuerkennende "Entscheidung"

Zur vorliegenden Rechtssache stellt der EuGH fest, dass der Standesbeamte in Italien als gesetzlich eingesetzte Behörde dafür zuständig sei, die Ehescheidung rechtsverbindlich auszusprechen, indem er die von den Ehegatten aufgesetzte Scheidungsvereinbarung nach einer Prüfung in Schriftform beurkundet. Der Standesbeamte vergewissere sich nämlich, dass das Einvernehmen der Ehegatten zur Scheidung gültig, aus freien Stücken und in Kenntnis der Sachlage erteilt wird, und prüfe auch den Inhalt der Ehescheidungsvereinbarung anhand der geltenden Rechtsvorschriften, indem er sich vergewissere, dass sich die Vereinbarung nur auf die Auflösung der Ehe oder die Beendigung der zivilen Wirkungen der Ehe bezieht und weder Vermögenswerte übertragen werden noch andere als volljährige wirtschaftlich unabhängige Kinder betroffen sind. Im Ergebnis handele es sich somit um eine von den deutschen Standesamtsbehörden automatisch anzuerkennende "Entscheidung" im Sinne der Brüssel-IIa-Verordnung.

EuGH, Urteil vom 15.11.2022 - C-646/20

Redaktion beck-aktuell, 15. November 2022.