Schadenersatzzahlung wiegt begehrte Feststellung einer Diskriminierung nicht auf

Das EU-Recht steht einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die ein mit einer Schadenersatzklage wegen des Vorwurfs einer Diskriminierung befasstes Gericht daran hindert, die Diskriminierung festzustellen, wenn der Beklagte sich zur Zahlung des geforderten Schadenersatzes bereiterklärt, ohne das Vorliegen dieser Diskriminierung einzuräumen. Ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz sei hiermit nicht gewährleistet, so der Europäische Gerichtshof.

Airline unterzieht Fluggast zusätzlicher Sicherheitskontrolle

Ein in Stockholm lebender Fluggast chilenischer Herkunft war bei einem von der Fluggesellschaft Braathens Regional Aviation AB durchgeführten Flug innerhalb Schwedens aufgrund einer Entscheidung des Bordkommandanten einer zusätzlichen Sicherheitskontrolle unterzogen worden. Der schwedische Bürgerbeauftragte für Diskriminierungsangelegenheiten beantragte im Namen dieses Fluggasts, Braathens wegen Diskriminierung zur Zahlung von Schadenersatz an den Fluggast zu verurteilen. Dieser sieht sich als Opfer einer Diskriminierung aus Gründen, die im Zusammenhang mit seinem Aussehen und seiner ethnischen Zugehörigkeit stehen.

Zahlung ohne Feststellung einer Diskriminierung

Die Fluggesellschaft war bereit, den geforderten Betrag zu zahlen, jedoch ohne eine Diskriminierung anzuerkennen. Das Stockholmer Gericht verurteilte Braathens daraufhin zur Zahlung des geforderten Betrags, erklärte aber die Anträge des Diskriminierungsombudsmannes, die auf den Erlass eines das Vorliegen einer Diskriminierung bestätigenden Feststellungsurteils gerichtet waren, für unzulässig. Nach dem schwedischen Verfahrensrecht sei das Gericht durch das Anerkenntnis von Braathens gebunden und daher verpflichtet, den Rechtsstreit ohne Prüfung des Vorliegens einer etwaigen Diskriminierung zu entscheiden. Nachdem seine gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz eingelegte Berufung ohne Erfolg geblieben war, legte der Diskriminierungsombudsmann beim schwedischen Obersten Gerichtshof ein Rechtsmittel ein.

Oberster Gerichtshof Schwedens schaltet EuGH ein

Dieser stellte sich die Frage, ob die schwedische Rechtsvorschrift vereinbar ist mit der Richtlinie 2000/431 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in dem das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verankert ist. Daher beschloss er, den EuGH mit dem Fall zu befassen. Der EuGH stellte nun fest, dass die Art. 7 und 15 der Richtlinie 2000/43 in Verbindung mit Art. 47 der Grundrechte-Charta einer nationalen Rechtsvorschrift entgegenstehen, die ein Gericht daran hindert, den Antrag auf Feststellung des Vorliegens einer Diskriminierung zu prüfen, wenn der Beklagte sich zur Zahlung des geforderten Schadenersatzes bereit erklärt, ohne jedoch das Vorliegen einer Diskriminierung einzuräumen.

Recht auf Feststellung der Diskriminierung zu gewährleisten

Erstens gehe aus Art. 7 der Richtlinie 2000/43 hervor, dass jede Person, die sich als Opfer einer Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft sieht, die Möglichkeit haben muss, im Rahmen eines Verfahrens zur Geltendmachung ihrer Rechte aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz eine gerichtliche Entscheidung über eine etwaige Verletzung dieser Rechte zu erwirken, wenn der Beklagte die ihm vorgeworfene Diskriminierung nicht einräumt. Somit reiche allein die Zahlung eines Geldbetrags nicht aus. Zweitens sei eine solche Rechtsvorschrift auch weder mit der Wiedergutmachungs- noch mit der Abschreckungsfunktion vereinbar, die die von den Mitgliedstaaten nach Art. 15 der Richtlinie 2000/43 vorgesehenen Sanktionen haben müssen. Zudem könne durch die Verpflichtung zur Zahlung eines Geldbetrags keine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Urheber einer Diskriminierung sichergestellt werden, wenn der Beklagte, wie im vorliegenden Fall, das Vorliegen einer Diskriminierung bestreitet, aber davon ausgeht, dass es für ihn kostengünstiger ist und sein Image weniger beeinträchtigt, wenn er den vom Kläger geforderten Schadenersatz zahlt.

Dispositionsgrundsatz und Verfahrensökonomie stehen nicht entgegen

Drittens betont der EuGH, dass diese Auslegung nicht durch verfahrensrechtliche Grundsätze oder Erwägungen wie den Dispositionsgrundsatz, den Grundsatz der Verfahrensökonomie und das Bemühen, die gütliche Beilegung von Streitigkeiten zu fördern, in Frage gestellt wird. Schließlich weist der EuGH viertens darauf hin, dass das Unionsrecht grundsätzlich die Mitgliedstaaten nicht zwingt, vor ihren nationalen Gerichten neben den nach nationalem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen neue zu schaffen, um den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte zu gewährleisten. Er stellt jedoch fest, dass es im vorliegenden Fall für die Einhaltung des Unionsrechts nicht erforderlich ist, einen neuen Rechtsbehelf einzuführen, sondern dass lediglich vom nationalen Gericht verlangt wird, die Verfahrensvorschrift unangewendet zu lassen, die es daran hindert, über das Vorliegen der geltend gemachten Diskriminierung zu entscheiden.

EuGH, Urteil vom 15.04.2021 - C-30/19

Redaktion beck-aktuell, 15. April 2021.