Ryanair-Personal unterliegt teilweise italienischem Sozialversicherungsrecht

Das nicht von E101-Entsendebescheinigungen erfasste fliegende Personal von Ryanair, das täglich 45 Minuten in einem für die Besatzung bestimmten Raum auf dem Flughafen von Bergamo arbeitet und sich für den Rest der Arbeitszeit an Bord von Flugzeugen dieser Fluggesellschaft befindet, unterliegt den italienischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Der für sie vorgesehene Raum gelte als Zweigstelle von Ryanair bzw. als Heimatbasis der Beschäftigten.

Italien und Ryanair streiten um Sozial- und Unfallversicherungsbeiträge

Die italienischen Behörden gingen davon aus, dass die Ryanair-Mitarbeiter in diversen Zeiträumen zwischen 2006 und 2013, die jeweils unterschiedlichen EU-Verordnungen unterfallen, eine Beschäftigung im italienischen Hoheitsgebiet ausübten und verlangten rückwirkend die Zahlung von Sozial- und Unfallversicherungsbeiträgen. Hiergegen ging die irische Fluggesellschaft vor den italienischen Gerichten vor. Da das italienische Berufungsgericht die italienischen Vorschriften für nicht anwendbar hielt, wandten sich die Behörden an den italienischen Kassationsgerichtshof. Dieser legte die Rechtsfrage, welche Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit für diejenigen Beschäftigten anwendbar sind, die normalerweise an Bord der Flugzeuge arbeiten, keine Entsendebescheinigung E 101 haben und sich während der Arbeitszeit nur 45 Minuten auf italienischem Boden aufhalten, dem EuGH vor.

Personalraum auf dem Flughafen Bergamo als Zweigstelle

Der EuGH wies hinsichtlich der Zeiträume, die unter die "Verordnung zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern" aus dem Jahr 1971 (Verordnung Nr. 1408/71) fallen, zunächst darauf hin, dass das Flugpersonal einer Fluggesellschaft, das von einer Zweigstelle oder ständigen Vertretung beschäftigt wird, welche die Fluggesellschaft im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats unterhält, den Rechtsvorschriften desjenigen Mitgliedstaats unterliegt, in dessen Gebiet sich die Zweigstelle oder die ständige Vertretung befindet. Bei dem für die Besatzung von Ryanair vorgesehenen Raum auf dem Flughafen Bergamo ("crew room") handele es sich um eine Zweigstelle, in der das fliegende Personal beschäftigt sei, so dass dieses den italienischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit unterliege.

"Wesentlicher Teil" der Tätigkeit muss in Italien ausgeübt worden sein

Der EuGH stellte hinsichtlich der Zeiträume, die unter die "Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit" aus dem Jahr 2004 (Verordnung Nr. 883/2004) weiter fest, dass eine Person, die gewöhnlich in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Beschäftigung ausübt, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats unterliegt, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt. Ein wesentlicher Teil der Tätigkeit liege vor, wenn über 25% der Arbeitszeit und/oder über 25% des Arbeitsentgelts in einem Mitgliedsstaat geleistet werden. Ob die betroffenen Beschäftigten einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit in Italien ausgeübt hätten, sei vom vorlegenden nationalen Gericht zu prüfen.

Personalraum zudem "Heimatbasis"

In diesem Zusammenhang weist der EuGH abschließend noch auf eine im Jahr 2012 in die Verordnung Nr. 883/2004 eingefügte Kollisionsnorm hin, nach der die Tätigkeit des Flugpersonals dann als in einem Mitgliedstaat ausgeübt gilt, wenn sich dort seine Heimatbasis befindet. Als Heimatbasis sei der Ort zu verstehen, an dem die Beschäftigten normalerweise ihre Dienstzeit beginnen und beenden und die Fluglinie nicht für die Unterbringung verantwortlich ist. Der für die Ryanair-Besatzungen auf dem Flughafen Bergamo vorgesehene Raum ist nach Ansicht des Gerichtshofs eine solche Heimatbasis.

EuGH, Urteil vom 19.05.2022 - C-33/21

Miriam Montag, Redaktion beck-aktuell, 20. Mai 2022.