Regelung zu Regionalwerbung in bundesweitem TV möglicherweise EU-rechtswidrig

Das Verbot, im Rahmen bundesweit ausgestrahlter deutscher Fernsehprogramme Werbung nur regional zu zeigen, könnte unionsrechtswidrig sein. Dies hat der Europäische Gerichtshof am 03.02.2021 entschieden. Eine solche Einschränkung könne unter anderem zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung der nationalen Fernsehveranstalter und der Anbieter von Werbedienstleistungen im Internet führen, so der EuGH. Dies muss nun das nationale Gericht prüfen.

Staatsvertrag untersagt beschränkte Ausstrahlung

Die Modeherstellerin Fussl Modestraße Mayr GmbH betreibt in Österreich und in Bayern eine Kette von Modegeschäften. Im Jahr 2018 schloss sie einen Vertrag mit der SevenOne Media GmbH, der Vermarktungsgesellschaft des deutschen Fernsehveranstalters ProSiebenSat.1. Dieser Vertrag betraf auf den Freistaat Bayern beschränkte Ausstrahlung von Werbung im Rahmen des bundesweiten Programms von ProSieben. Seit 2016 untersagt ein von den Bundesländern geschlossener Staatsvertrag es den Fernsehveranstaltern, in ihr bundesweit ausgestrahltes Programm Fernsehwerbung aufzunehmen, die nur regional gezeigt wird. SevenOne Media verweigerte aus diesem Grund die Erfüllung des Vertrags mit Fussl.

"Öffnungsklausel" für Bundesländer

Die Regelung aus dem Jahr 2016 soll den regionalen und lokalen Fernsehveranstaltern eine Einnahmequelle und damit ihren Fortbestand sichern, damit sie zum pluralistischen Charakter des Fernsehprogrammangebots beitragen können. Das Verbot ist mit einer "Öffnungsklausel" versehen, die es den Bundesländern ermöglicht, regionale Werbung im Rahmen des bundesweiten Programms zu erlauben. Im zugrunde liegenden Verfahren möchte das Landgericht Stuttgart wissen, ob ein solches Verbot mit dem Unionsrecht vereinbar ist (ZUM-RD 2020, 339).

Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste steht nicht entgegen

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (RL 2010/13/EU), wonach die Mitgliedstaaten in den von dieser Richtlinie koordinierten Bereichen unter bestimmten Voraussetzungen strengere oder ausführlichere Bestimmungen vorsehen können, um den Schutz der Interessen der Zuschauer sicherzustellen, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, entschied der EuGH. Das fragliche Verbot falle zwar in einen von der Richtlinie koordinierten Bereich, nämlich den der Fernsehwerbung, betreffe jedoch eine spezielle Materie, die durch keinen Artikel der Richtlinie geregelt wird und darüber hinaus nicht das Ziel des Schutzes der Zuschauer verfolgt. Das Verbot könne daher nicht als "ausführlichere" oder "strengere" Bestimmung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie eingestuft werden, sodass ihm diese Vorschrift nicht entgegensteht.

Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs

Das Verbot führe aber zu einer Beschränkung des in Art. 56 AEUV garantierten freien Dienstleistungsverkehrs, zum Nachteil sowohl der Anbieter von Werbedienstleistungen, also der Fernsehveranstalter, als auch der Empfänger dieser Dienstleistungen, also der Werbetreibenden, insbesondere jener, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind. Die Aufrechterhaltung des pluralistischen Charakters des Fernsehprogrammangebots stelle zwar einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar. In Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der Beschränkung wies der EuGH darauf hin, dass das Ziel der Aufrechterhaltung des Medienpluralismus, da es mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Zusammenhang stehe, den nationalen Stellen ein weites Ermessen einräumt. Das fragliche Verbot müsse jedoch geeignet sein, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, und dürfe nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich sei.

EuGH sieht möglichen Widerspruch

Nach Ansicht des EuGH könnte das fragliche Verbot mit einem Widerspruch behaftet sein, und zwar wegen des - vom nationalen Gericht zu prüfenden - Umstands, dass es nur für Werbedienstleistungen gilt, die von Fernsehveranstaltern erbracht werden, und nicht für - insbesondere lineare - Werbedienstleistungen, die im Internet erbracht werden. Dabei könnte es sich nämlich um zwei Arten auf dem deutschen Werbemarkt konkurrierender Dienstleistungen handeln, die die gleiche Gefahr für das finanzielle Wohlergehen der regionalen und lokalen Fernsehveranstalter und damit für das Ziel des Schutzes des Medienpluralismus darstellen können.

Nationales Gericht muss "Öffnungsklausel" prüfen

Was zum anderen die Erforderlichkeit des Verbots betrifft, könnte sich eine weniger beschränkende Maßnahme aus der tatsächlichen Umsetzung der durch die "Öffnungsklausel" vorgesehenen Erlaubnisregelung in den Bundesländern ergeben. Das nationale Gericht habe jedoch zu prüfen, ob diese a priori weniger einschränkende Maßnahme tatsächlich so erlassen und durchgeführt werden könnte, dass das verfolgte Ziel in der Praxis erreichbar sei.

Wahrung öffentlichen Interesses vorrangig

Desweiteren stellte der EuGH zu der durch Art. 11 der Grundrechte-Charta garantierten Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit fest, dass sie einem Verbot regionaler Werbung auf nationalen Fernsehsendern wie dem in der fraglichen nationalen Maßnahme enthaltenen nicht entgegensteht. Dieses Verbot beruhe nämlich im Wesentlichen auf einer Abwägung zwischen der Freiheit der nationalen Fernsehveranstalter und der Werbetreibenden zur kommerziellen Meinungsäußerung einerseits und dem Schutz des Medienpluralismus auf regionaler und lokaler Ebene andererseits. Insoweit durfte der deutsche Gesetzgeber nach Ansicht des EuGH – ohne das weite Ermessen, das ihm in diesem Rahmen zusteht, zu überschreiten – davon ausgehen, dass die Wahrung des öffentlichen Interesses Vorrang vor dem privaten Interesse der nationalen Fernsehveranstalter und der Werbetreibenden haben soll.

Situation der Anbieter von Werbedienstleistungen im Internet vergleichbar?

Abschließend kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass auch der in Art. 20 der Grundrechte-Charta verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung dem fraglichen Verbot nicht entgegensteht, sofern es nicht zu einer Ungleichbehandlung der nationalen Fernsehveranstalter und der Anbieter von – insbesondere linearer – Werbung im Internet in Bezug auf die Ausstrahlung von Werbung auf regionaler Ebene führt. Insoweit müsse das nationale Gericht prüfen, ob sich die Situation der nationalen Fernsehveranstalter und die Situation der Anbieter von – insbesondere linearen – Werbedienstleistungen im Internet in Bezug auf die Erbringung von Dienstleistungen der regionalen Werbung in den ihre jeweilige Situation kennzeichnenden Merkmalen – insbesondere den üblichen Formen der Nutzung von Werbedienstleistungen, der Art ihrer Erbringung oder dem rechtlichen Rahmen, in den sie sich einfügen – erheblich voneinander unterscheiden.

EuGH, Urteil vom 03.02.2021 - C-555/19

Redaktion beck-aktuell, 3. Februar 2021.