Regeln zum immateriellen Schadensersatz für Angehörige europarechtskonform

Immaterieller Schadensersatz für Angehörige von Unfallopfern darf weiter davon abhängig gemacht werden, dass ihre psychischen Beeinträchtigungen zu einer pathologischen Schädigung geführt haben. Der Europäische Gerichtshof erklärte die deutsche Praxis aufgrund einer Vorlage eines bulgarischen Gerichts für europarechtskonform.

Tödlicher Unfall in Deutschland

Die minderjährigen Töchter eines bulgarischen Paars verlangten von einer deutschen Haftpflichtversicherung Schmerzensgeld für den Unfalltod ihrer Mutter. Die Eltern waren 2013 zum Arbeiten nach Deutschland gezogen und hatten ihre 2006 sowie 2010 geborenen Kinder in Bulgarien gelassen. Ein Jahr später verursachte der Vater im betrunkenen Zustand einen Unfall – die nicht angeschnallte Mutter kam auf dem Beifahrersitz zu Tode. Der Versicherer des Wagens zahlte den Mädchen jeweils 5.000 Euro, weigerte sich aber unter Berufung auf die deutsche Rechtslage, immateriellen Schadensersatz zu leisten: Die geschilderten psychischen Folgen hätten nicht den Grad einer pathologischen Störung erreicht. Das Stadtgericht Sofia stand dem Anliegen der Kinder offen gegenüber, sah sich aber durch das hier anzuwendende deutsche Recht an einer für sie positiven Entscheidung gehindert. Das bulgarische Gericht rief deshalb den EuGH an, da das Recht von Angehörigen auf Schadensersatz unzulässig eingeschränkt werde. Nach Ansicht des EuGH verstößt die Rechtspraxis hierzulande aber nicht gegen das Europarecht.

Keine Harmonisierung der Haftpflicht

Die Luxemburger Richter betonten, dass grundsätzlich ein Deckungsschutz nach der Kraftfahrzeughaftpflichtrichtlinie (RL 2009/103/EG) auch für Personen bestehen muss, die nicht direkt am Unfall beteiligt waren. Der Umfang der Haftung dürfe nicht derart eingeschränkt werden, dass sie praktisch wirkungslos werde. Der EuGH verwies aber darauf, dass ansonsten das nationale Recht dafür maßgeblich ist, unter welchen Bedingungen Schadensersatz gefordert werden kann. Eine Vollharmonisierung des Haftungsrechts für Verkehrsunfälle existiere bislang nicht. Nach deutschem Recht könne im Einzelfall überprüft werden, ob Angehörige einen immateriellen Schaden erlitten hätten. Das dafür eingesetzte Kriterium eines durch den Unfall entstandenen Gesundheitsschadens gefährde den Schutz von Opfern nicht. 

EuGH, Urteil vom 22.12.2022 - C-237/21

Redaktion beck-aktuell, 16. Dezember 2022.