Recht auf Elternurlaub darf keine Beschäftigung zur Zeit der Geburt voraussetzen

Ein Mitgliedstaat darf das Recht auf Elternurlaub nicht von dem Erfordernis abhängig machen, dass der Elternteil zur Zeit der Geburt oder Adoption des Kindes einer Beschäftigung nachgegangen ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof heute entschieden. Er dürfe aber verlangen, dass der Elternteil unmittelbar vor Beginn des Elternurlaubs ununterbrochen mindestens zwölf Monate beschäftigt war.

Elternurlaub wegen fehlender Beschäftigung zur Zeit der Geburt abgelehnt

Die Ausgangsklägerin hatte im September 2011 mit dem luxemburgischen Staat einen befristeten Arbeitsvertrag als Lehrbeauftragte an weiterführenden Schulen geschlossen, der im Januar 2012 ablief. Sie wurde damit bei den Sozialversicherungsträgern abgemeldet. Anfang März 2012, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie arbeitslos war, brachte sie Zwillinge zur Welt. Mitte Juni 2012 wurde ihr Arbeitslosengeld zuerkannt und sie daher wieder bei den Sozialversicherungsträgern angemeldet. Nachdem die Ausgangsklägerin mit dem luxemburgischen Staat im September 2012 und im August 2013 zwei befristete Verträge geschlossen hatte, unterzeichnete sie am 15.09.2014 mit demselben einen unbefristeten Vertrag im Bildungsbereich. Sie beantragte dann Elternurlaub ab dem 15.09.2015. Die Zukunftskasse lehnte den Antrag ab, weil die Gewährung von Elternurlaub voraussetze, dass der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes rechtmäßig und sozialversichert an einem Arbeitsplatz beschäftigt ist.

EuGH zur Vereinbarkeit mit der Elternzeitrichtlinie angerufen

Der luxemburgische Kassationsgerichtshof bat den EuGH zu klären, ob das entsprechende luxemburgische Gesetz mit der Richtlinie 2010/18/EU zur Durchführung der überarbeiteten Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub vereinbar ist. Nach luxemburgischen Recht ist die Gewährung von Elternurlaub von zwei Voraussetzungen abhängig: Der Arbeitnehmer muss nicht nur unmittelbar vor Beginn des Elternurlaubs mindestens zwölf Monate ununterbrochen rechtmäßig und sozialversichert an einem Arbeitsplatz beschäftigt gewesen sein, sondern auch zum Zeitpunkt der Geburt oder der Aufnahme des zu adoptierenden  Kindes, und zwar auch dann, wenn das Kind mehr als zwölf Monate vor dem Beginn des Elternurlaubs geboren oder aufgenommen wurde.

EuGH: Erfordernis der Beschäftigung zur Zeit der Geburt mit überarbeiteter Rahmenvereinbarung unvereinbar

Laut EuGH verstößt das Erfordernis einer Beschäftigung zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes oder der Aufnahme des zu adoptierenden Kindes gegen die überarbeitete Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie. Das Recht auf Elternurlaub sei ein individuelles Recht, das zur Betreuung des Kindes bis zu einem bestimmten Alter gewährt wird. Nach der überarbeiteten Rahmenvereinbarung seien zwar die Geburt oder Adoption eines Kindes und der Arbeitnehmerstatus seiner Eltern Voraussetzungen für ein Recht auf Elternurlaub. Hieraus lasse sich aber nicht ableiten, dass die Eltern des Kindes, für das dieser Urlaub beantragt werde, zum Zeitpunkt der Geburt oder Adoption des Kindes Arbeitnehmer sein müssen. Eine solche Auslegung widerspräche den Zielen der überarbeiteten Rahmenvereinbarung. Diese solle sowohl die Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Gleichbehandlung am Arbeitsplatz fördern, als auch die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben für erwerbstätige Eltern verbessern. Zudem sei das individuelle Recht jedes erwerbstätigen Elternteils auf Elternurlaub als Ausdruck eines sozialen Grundrechts der Union zu verstehen, dem besondere Bedeutung zukomme und das im Übrigen in der EU-Grundrechtecharta verankert sei.

Erfordernis widerspricht individuellem Recht auf Elternurlaub

Die Eltern auszuschließen, die zum Zeitpunkt der Geburt oder Adoption ihres Kindes nicht erwerbstätig gewesen seien, widerspräche dem individuellen Recht jedes Arbeitnehmers auf Elternurlaub. Denn dadurch würden für diese Eltern die Möglichkeiten eingeschränkt, zu einem späteren Zeitpunkt ihres Lebens, zu dem sie wieder einer Beschäftigung nachgingen, Elternurlaub zu nehmen, den sie benötigten, um ihre familiären und beruflichen Pflichten miteinander in Einklang zu bringen. Außerdem hätten die beiden im luxemburgischen Recht vorgesehenen Voraussetzungen, eine Verlängerung der vorausgesetzten Beschäftigungs- und/oder Betriebszugehörigkeitsdauer – die ein Jahr nicht überschreiten dürfe – zur Folge, wenn das Kind mehr als zwölf Monate vor Beginn des Elternurlaubs geboren oder aufgenommen wurde.

Erfordernis unmittelbar vorangegangener zwölfmonatiger Beschäftigungsdauer zulässig

Hingegen dürften die Mitgliedstaaten die Gewährung eines Elternurlaubs von einer vorausgegangenen Beschäftigungsdauer bis zu einer Grenze von höchstens einem Jahr abhängig machen und verlangen, dass es sich dabei um einen zusammenhängenden Zeitraum handelt, so der EuGH weiter. Da ein Antrag auf Elternurlaub darauf abziele, eine Aussetzung des Arbeitsverhältnisses des Antragstellers zu erreichen, dürften die Mitgliedstaaten zudem verlangen, dass die vorausgegangene Beschäftigungszeit unmittelbar vor Beginn des Elternurlaubs liegt.

EuGH, Urteil vom 25.02.2021 - C-129/20

Redaktion beck-aktuell, 25. Februar 2021.