Nigerianischer Asylbewerber gab Homosexualität als Verfolgungsgrund an
Ein Nigerianer beantragte 2015 in Ungarn Asyl mit der Begründung, er befürchte, als Homosexueller in Nigeria verfolgt zu werden. Die ungarischen Behörden stellten in seinen Angaben zwar keine Widersprüche fest. Sie lehnten seinen Antrag aber dennoch ab, da ein psychologisches Gutachten zur Exploration seiner Persönlichkeit nicht bestätigt habe, dass er homosexuell sei. Dagegen klagte der Nigerianer.
Ungarisches Vorlagegericht: Psychologisches Gutachten zur Überprüfung der Homosexualität zulässig?
Das ungarische Vorlagegericht bat den EuGH um Klärung, ob sich die ungarischen Behörden bei der Würdigung der Angaben eines Asylbewerbers zu seiner sexuellen Orientierung auf ein psychologisches Gutachten stützen dürfen. Für den Fall, dass dies unzulässig sein sollte, wollte das Gericht wissen, ob es andere, zulässige fachgutachterliche Methoden zur Überprüfung der angegebenen sexuellen Orientierung gebe.
EuGH: Sexuelle Orientierung eines Asylbewerbers darf nicht mittels psychologischer Tests überprüft werden
Der EuGH hat entschieden, dass die Einholung eines auf Persönlichkeitstests basierenden psychologischen Gutachtens zur Überprüfung der sexuellen Orientierung eines Asylbewerbers unzulässig ist. Dies sei im Licht der Grundrechte-Charta nicht mit der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU zu vereinbaren. Ein solches Gutachten greife jedenfalls unverhältnismäßig in das Privatleben des Asylbewerbers ein. Denn der damit verbundene Eingriff sei besonders schwerwiegend, da das Gutachten einen Einblick in die intimsten Lebensbereiche des Asylbewerbers geben solle.
Psychologisches Gutachten zur Bestimmung der sexuellen Orientierung nicht unverzichtbar
Laut EuGH ist ein psychologisches Gutachten zur Bestimmung der sexuellen Orientierung auch nicht unverzichtbar, um die Glaubhaftigkeit der Angaben eines Asylbewerbers zu bewerten. Die nationalen Behörden könnten sich etwa auf die Kohärenz und die Plausibilität der Aussagen des Asylbewerbers stützen, wenn Unterlagen zum Beweis für dessen sexuelle Orientierung fehlten. Im Übrigen sei ein solches Gutachten allenfalls begrenzt zuverlässig, so dass sein Nutzen für die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussagen eines Asylbewerbers bezweifelt werden könne, insbesondere dann, wenn dessen Aussagen – wie hier – keine Widersprüche aufweisen.
Einholung von Gutachten nicht grundsätzlich unzulässig
Der EuGH weist aber darauf hin, dass Gutachten zur Überprüfung der Angaben des Asylbewerbers zu dessen sexuellen Orientierung nicht grundsätzlich unzulässig seien. Maßgeblich sei, dass die Grundrechte des Asylbewerbers durch ein Gutachten nicht beeinträchtigt würden. Außerdem dürften die nationalen Behörden und Gerichte ihre Entscheidung nicht allein auf die Ergebnisse des Gutachtens stützen. Auch dürften sie bei der Bewertung der Aussagen des Antragstellers zu seiner sexuellen Orientierung nicht an diese Ergebnisse gebunden sein. Eingeholt werden dürfte zum Beispiel ein Gutachten zur Lage von Personen mit der vom Antragsteller behaupteten sexuellen Orientierung in dessen Herkunftsland.