Pressefreiheit kann Weitergabe von Informationen schützen

Recherchiert ein Journalist über ein Marktgerücht zu Kaufangeboten für bestimmte Wertpapiere und gibt dabei gegenüber Dritten preis, dass er darüber berichten wird, kann dies eine verbotene Weitergabe von Insiderinformationen darstellen. Der Europäische Gerichtshof hält dieses Verhalten aber unter Umständen für gerechtfertigt, wenn es für die Ausübung der journalistischen Tätigkeit erforderlich ist und die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird.

Marktgerücht über Aktienkaufangebote veröffentlicht

Ein Journalist schrieb auf der Internetseite der britischen Boulevardzeitung Daily Mail über Gerüchte, wonach es unter anderem für die Aktien des französischen Modekonzerns Hermès Kaufangebote gebe, die weit über deren Wert auf der Börse Euronext lagen. Im Rahmen seiner Recherche gab er dies an Dritte weiter, die daraufhin vor der geplanten Veröffentlichung schnell billig Anteile erwarben. Nach dem Erscheinen seiner Artikel stiegen die Kurse erheblich, und die Käufer veräußerten ihre Wertpapiere mit ordentlichem Gewinn. Die französische Finanzmarktaufsichtsbehörde verhängte gegen den Reporter eine Geldbuße in Höhe von 40.000 Euro wegen der Weitergabe von Insiderinformationen. Das Berufungsgericht in Paris fragte den EuGH, ob die Information über die bevorstehende Veröffentlichung eines Marktgerüchts überhaupt eine Insiderinformation im Sinne des Unionsrechts sei – und ob das Verbot der Weitergabe dieser Informationen eine Ausnahme im journalistischen Kontext erfahre.

Mögliche Insiderinformation

Die Europarichter entschieden nun: Die Information, dass in Kürze ein Artikel erscheinen wird, in dem ein Gerücht über einen Wertpapieremittenten aufgegriffen wird, könne eine verbotene Insiderinformation sein. Dafür müsse sie "präzise" sein, also den avisierten Preis der Aktien, den Namen des Journalisten und das veröffentlichende Presseorgan konkret bezeichnen.

Pressefreiheit als denkbarer Rechtfertigungsgrund

Die Luxemburger Richter erkannten die Pressefreiheit aber als möglichen Rechtfertigungsgrund für die Weitergabe von Insiderinformationen an. Allerdings müsse die Offenlegung für die Ausübung des journalistischen Berufs erforderlich sein. Außerdem verlangt der EuGH die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes: Das nationale Gericht habe zu prüfen, ob die Recherchetätigkeit die Offenlegung nicht nur des Gerüchts, sondern auch der geplanten Veröffentlichung erfordert habe. Außerdem müsse der Schaden der Weitergabe einer Insiderinformation für einzelne Anleger und für die Integrität der Finanzmärkte gegen die Abschreckungswirkung für Journalisten abgewogen werden.

EuGH, Urteil vom 15.03.2022 - C‑302/20

Redaktion beck-aktuell, 15. März 2022.