Polen setzte Ruhestandsalter für Richter und Staatsanwälte herab
Polen senkte mit Gesetz vom 12.07.2017 das Ruhestandsalter für Richter und Staatsanwälte sowie das Alter, ab dem Richter Obersten Gerichts vorzeitig in den Ruhestand treten können, bei Frauen auf 60 Jahre und bei Männern auf 65 Jahre ab. Zuvor gab es eine Altersgrenze für beide Geschlechter von 67 Jahren. Darüber hinaus wurde dem Justizminister mit diesem Gesetz die Befugnis eingeräumt, die Amtszeit der Richter an den ordentlichen Gerichten über die neu festgelegten, geschlechtsspezifischen Ruhestandsalter hinaus zu verlängern. Da die betreffenden Vorschriften nach Ansicht der Kommission gegen Unionsrecht verstoßen, hat sie beim Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage erhoben.
EuGH: Ruhestandsregelungen verstoßen gegen Unionsrecht
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass die Ruhestandsregelungen gegen Art. 157 AEUV und die Richtlinie 2006/54 verstoßen. Sie würden insbesondere, was den Zeitpunkt betrifft, ab dem die Betroffenen die in den Ruhegehaltsregelungen vorgesehenen Vorteile tatsächlich in Anspruch nehmen können, zu einer unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts führen. Die unterschiedliche Regelung für Frauen und Männer könne auch nicht als positive Diskriminierung angesehen werden. Die Unterschiede seien nicht geeignet, Karrierenachteile für Beamtinnen durch Hilfestellung für diese Frauen in ihrem Berufsleben und durch Abhilfe für Probleme, auf die sie in ihrer beruflichen Laufbahn stoßen können, auszugleichen.
Übertragung der Entscheidung über Ruhestandseintritt an Justizminister problematisch
Darüber hinaus sei auch die mögliche Ermächtigung des Justizministers, die Fortsetzung der Amtstätigkeit von Richtern an den ordentlichen Gerichten über das neue, herabgesetzte Ruhestandsalter hinaus zu genehmigen oder nicht zu genehmigen, äußerst problematisch. Es sei von grundlegender Bedeutung, dass die Unabhängigkeit für polnische Gerichte - zumindest bei Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Unionsrecht – gewahrt bleibe. Diese Unabhängigkeit erfordere eine völlig autonome und unparteiliche Funktionalität.
Regelung gefährdet Unabhängigkeit der Richter
Der Umstand, dass einem Organ wie dem Justizminister die Befugnis übertragen werde, eine Verlängerung der Amtszeit eines Richters über das Regelruhestandsalter hinaus zu genehmigen oder nicht zu genehmigen, reiche für sich allein zwar nicht aus, um das Vorliegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unabhängigkeit zu bejahen. Die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten, die mit dieser Entscheidungsbefugnis verbunden seien, würden vorliegend aber geeignet sein, berechtigte Zweifel an der Unempfänglichkeit der betroffenen Richter für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität aufkommen zu lassen. Die Kriterien, anhand deren der Justizminister seine Entscheidung zu treffen habe, seien zu unbestimmt, nicht nachprüfbar und müssten nicht begründet werden. Die Entscheidung sei außerdem gerichtlich nicht anfechtbar.
Unabsetzbarkeit muss gewährleistet sein
Die Länge des Zeitraums, in dem die Richter gegebenenfalls auf die Entscheidung des Ministers warten müssen, stehe in dessen Ermessen. Zudem erfordere die unerlässliche Unempfänglichkeit der Richter für jegliche Interventionen oder jeglichen Druck von außen bestimmte Garantien, die geeignet seien, die mit der Aufgabe des Richtens Betrauten in ihrer Person zu schützen, wie etwa die Unabsetzbarkeit. Der Grundsatz der Unabsetzbarkeit erfordere insbesondere, dass die Richter im Amt bleiben dürfen, bis sie das obligatorische Ruhestandsalter erreicht haben oder ihre Amtszeit, sofern sie befristet ist, abgelaufen ist. Dieser Grundsatz gelte zwar nicht völlig absolut, doch dürften Ausnahmen von ihm nur unter der Voraussetzung gemacht werden, dass dies durch legitime und zwingende Gründe gerechtfertigt sei und dabei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werde.
Kombination von Ruhestandabsenkung und ministerieller Befugnis unionsrechtswidrig
Im vorliegenden Fall verstoße jedoch die Kombination der Herabsetzung des Regelruhestandsalters für Richter an den ordentlichen Gerichten mit dem Ermessen, das dem Justizminister hinsichtlich der Entscheidung darüber eingeräumt ist, ob er diesen Richtern die weitere Ausübung ihres Amtes über die neu festgelegte Altersgrenze hinaus für die Dauer von zehn Jahren, wenn es sich um eine Frau handelt, beziehungsweise von fünf Jahren, wenn es sich um einen Mann handelt, genehmigt, gegen diesen Grundsatz.
Richter möglicherweise willkürlicher Dienstentfernung ausgesetzt
Diese Kombination von Maßnahmen sei geeignet, bei den Rechtsunterworfenen berechtigte Bedenken des Inhalts zu wecken, dass mit dem neuen System in Wirklichkeit beabsichtigt sein könnte, es dem Justizminister zu ermöglichen, bestimmte Gruppen von bei den polnischen ordentlichen Gerichten tätigen Richtern, wenn sie das Regelruhestandsalter erreicht haben, willkürlich aus dem Dienst zu entfernen und gleichzeitig einen anderen Teil dieser Richter im Amt zu belassen. Da zudem die Entscheidung des Ministers an keine Frist gebunden sei und der betroffene Richter bis zu ihrem Erlass im Amt bleibe, könne die möglicherweise ablehnende Entscheidung des Ministers ergehen, nachdem der betroffene Richter über das neue Ruhestandsalter hinaus im Amt belassen wurde.