Pöna­li­sie­rung der Un­ter­stüt­zung von Asyl­be­wer­bern in Un­garn EU-rechts­wid­rig

Un­garn hat die Or­ga­ni­sa­ti­ons­tä­tig­keit, die dar­auf ab­zielt, Per­so­nen die Ein­lei­tung eines Ver­fah­rens des in­ter­na­tio­na­len Schut­zes zu er­mög­li­chen, ob­wohl die­ser er­sicht­lich nicht er­folg­reich sein kann, mit Stra­fe be­droht. Durch diese Pöna­li­sie­rung werde die Aus­übung der vom Uni­ons­ge­setz­ge­ber ga­ran­tier­ten Rech­te be­schränkt, die im Be­reich der Un­ter­stüt­zung von Per­so­nen, die um in­ter­na­tio­na­len Schutz nach­su­chen, gel­ten, so der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof.

Neue Maß­nah­men gegen il­le­ga­le Ein­wan­de­rung

Un­garn er­ließ 2018 Vor­schrif­ten, mit denen für Asyl­an­trä­ge ein neuer Un­zu­läs­sig­keits­grund ein­ge­führt wurde. Auch wur­den Or­ga­ni­sa­ti­ons­tä­tig­kei­ten, die dar­auf ab­zie­len, Per­so­nen, die nach un­ga­ri­schem Recht kei­nen An­spruch auf Asyl haben, die Stel­lung von Asyl­an­trä­gen zu er­mög­li­chen, mit Stra­fe be­droht. Für Per­so­nen, die einer sol­chen Straf­tat ver­däch­tigt sind, sahen die neuen Vor­schrif­ten Be­schrän­kun­gen der Be­we­gungs­frei­heit vor. Die EU-Kom­mis­si­on meint, Un­garn habe mit dem Er­lass der Vor­schrif­ten gegen seine Ver­pflich­tun­gen aus den Richt­li­ni­en "Ver­fah­ren" (RL 2013/32/EU) und "Auf­nah­me" (RL 2013/33/EU) ver­sto­ßen. Sie hat des­halb eine Ver­trags­ver­let­zungs­kla­ge er­ho­ben.

EuGH: Liste der Un­zu­läs­sig­keits­grün­de ab­schlie­ßend

Der Ge­richts­hof (Große Kam­mer) hat der Klage der Kom­mis­si­on grö­ß­ten­teils statt­ge­ge­ben. Un­garn habe zum einen gegen seine Ver­pflich­tun­gen aus Art. 33 Abs. 2 RL 2013/32/EU ver­sto­ßen, weil eine Neu­re­ge­lung es er­mög­li­che, dass ein An­trag auf in­ter­na­tio­na­len Schutz des­halb als un­zu­läs­sig ab­ge­lehnt wird, weil der An­trag­stel­ler über einen Staat in sein Ho­heits­ge­biet ein­ge­reist ist, in dem er kei­ner Ver­fol­gung aus­ge­setzt ist und in dem für ihn nicht die Ge­fahr be­steht, einen ernst­haf­ten Scha­den zu er­lei­den, oder in dem ein an­ge­mes­se­nes Schutz­ni­veau ge­währ­leis­tet ist. Die Fälle, in denen die Mit­glied­staa­ten einen An­trag auf in­ter­na­tio­na­len Schutz als un­zu­läs­sig be­trach­ten kön­nen, seien in Art. 33 Abs. 2 RL 2013/32/EU näm­lich ab­schlie­ßend auf­ge­zählt. Der durch die un­ga­ri­sche Re­ge­lung ein­ge­führ­te Un­zu­läs­sig­keits­grund lasse sich aber kei­nem die­ser Fälle zu­ord­nen.

Neue Straf­vor­schrif­ten für Un­ter­stüt­zer EU-rechts­wid­rig

Un­garn habe zum an­de­ren gegen seine Ver­pflich­tun­gen aus Art. 8 Abs. 2 RL 2013/32/EU und Art. 19 Abs. 4 RL 2013/33/EU ver­sto­ßen, indem es in sei­nem in­ner­staat­li­chen Recht das Ver­hal­ten einer jeden Per­son, die im Rah­men einer Or­ga­ni­sa­ti­ons­tä­tig­keit Un­ter­stüt­zung bei der Stel­lung oder förm­li­chen Stel­lung eines Asyl­an­trags in sei­nem Ho­heits­ge­biet ge­währt, mit Stra­fe be­droht hat, wenn jen­seits ver­nünf­ti­ger Zwei­fel nach­ge­wie­sen wer­den kann, dass die be­tref­fen­de Per­son wuss­te, dass der An­trag nach dem in­ner­staat­li­chen Recht keine Aus­sicht auf Er­folg hatte. Die un­ga­ri­sche Re­ge­lung be­schrän­ke die in Richt­li­ni­en ver­bürg­ten Rech­te, ins­be­son­de­re das Recht, Zu­gang zu den Per­so­nen zu er­hal­ten, die um in­ter­na­tio­na­len Schutz nach­su­chen, und das Recht, mit die­sen Per­so­nen Ver­bin­dung auf­zu­neh­men sowie die Ef­fek­ti­vi­tät des dem Asyl­be­wer­ber ga­ran­tier­ten Rechts, auf ei­ge­ne Kos­ten einen Rechts­an­walt oder sons­ti­gen Rechts­be­ra­ter zu kon­sul­tie­ren. 

Re­ge­lung kann Prü­fung von Rechts­vor­schrif­ten un­ter­bin­den

Eine sol­che Be­schrän­kung könne nicht durch die vom un­ga­ri­schen Ge­setz­ge­ber an­ge­führ­ten Ziele der Be­kämp­fung der Un­ter­stüt­zung der miss­bräuch­li­chen In­an­spruch­nah­me des Asyl­ver­fah­rens und der Be­kämp­fung der be­trü­ge­ri­schen il­le­ga­len Ein­wan­de­rung ge­recht­fer­tigt wer­den. Denn mit der un­ga­ri­schen Re­ge­lung wür­den auch Ver­hal­tens­wei­sen be­kämpft, die nicht als be­trü­ge­ri­sche oder miss­bräuch­li­che Ver­hal­tens­wei­sen an­ge­se­hen wer­den kön­nen. Da­nach würde sich jede Per­son straf­bar ma­chen, die Un­ter­stüt­zung bei der Stel­lung oder förm­li­chen Stel­lung eines Asyl­an­trags ge­währt und zwar weiß, dass der An­trag nach den un­ga­ri­schen Rechts­vor­schrif­ten keine Aus­sicht auf Er­folg hat, aber der Auf­fas­sung ist, dass diese Vor­schrif­ten unter an­de­rem uni­ons­rechts­wid­rig sind. Den Asyl­be­wer­bern kann laut EuGH auf diese Weise eine Un­ter­stüt­zung ent­zo­gen wer­den, die es ihnen er­mög­li­chen würde, in einer spä­te­ren Phase des Asyl­ver­fah­rens die Recht­mä­ßig­keit der an­wend­ba­ren na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten an­zu­fech­ten, ins­be­son­de­re im Hin­blick auf das Uni­ons­recht.

Ahn­dung wei­te­rer nach EU-Recht zu­läs­si­ger Un­ter­stüt­zung

Wei­ter werde mit der Re­ge­lung die Un­ter­stüt­zung einer Per­son bei der Stel­lung oder förm­li­chen Stel­lung eines Asyl­an­trags ge­ahn­det, wenn diese Per­son nicht in min­des­tens einem Staat, über den sie nach Un­garn ein­ge­reist ist, ver­folgt wor­den ist und auch nicht in min­des­tens einem sol­chen Staat die Ge­fahr be­steht, dass sie ver­folgt wird. Die Richt­li­nie "Ver­fah­ren" stehe aber dem ent­ge­gen, dass ein Asyl­an­trag aus die­sem Grund als un­zu­läs­sig ab­ge­lehnt wird. Eine sol­che Un­ter­stüt­zung könne daher kei­nes­falls einer be­trü­ge­ri­schen oder miss­bräuch­li­chen Ver­hal­tens­wei­se gleich­ge­setzt wer­den.

Von Un­ter­stüt­zern ver­lang­te Prü­fung zu weit­ge­hend

Die un­ter­stüt­zen­den Per­so­nen auf­ge­zwun­ge­ne Prü­fung ab der Stel­lung oder förm­li­chen Stel­lung eines Asyl­an­trags, ob die­ser nach un­ga­ri­schem Recht Aus­sicht auf Er­folg hat, sei zu weit­ge­hend. Von die­sen Per­so­nen könne nicht er­war­tet wer­den, dass sie eine sol­che Über­prü­fung vor­neh­men, zumal Asyl­be­wer­ber Schwie­rig­kei­ten haben könn­ten, be­reits in die­sem Sta­di­um die für die Er­lan­gung des Flücht­lings­sta­tus re­le­van­ten Um­stän­de gel­tend zu ma­chen. Au­ßer­dem schaf­fe das für die be­tref­fen­de Per­son be­stehen­de Ri­si­ko, al­lein des­halb mit einer be­son­ders schwe­ren Stra­fe, näm­lich einer frei­heits­ent­zie­hen­den Stra­fe, be­legt zu wer­den, weil sie wis­sen muss­te, dass der Asyl­an­trag keine Aus­sicht auf Er­folg hat, Un­si­cher­heit hin­sicht­lich der Recht­mä­ßig­keit einer jeg­li­chen Un­ter­stüt­zung bei der Durch­füh­rung der bei­den ge­nann­ten we­sent­li­chen Ab­schnit­te des Ver­fah­rens der Ge­wäh­rung von Asyl. Die un­ga­ri­sche Re­ge­lung sei des­halb ge­eig­net, jede Per­son, die eine Un­ter­stüt­zung in die­sen bei­den Ab­schnit­ten des Ver­fah­rens ge­wäh­ren möch­te, in hohem Maße ab­zu­schre­cken.

EuGH, Urteil vom 16.11.2021 - C-821/19

Redaktion beck-aktuell, 16. November 2021.

Mehr zum Thema