Pa­tent­ver­let­zung: Einst­wei­li­ge Ver­fü­gun­gen dür­fen nicht an Be­wäh­rung in Rechts­be­stands­ver­fah­ren ge­kop­pelt wer­den

Die Recht­spre­chung meh­re­rer Ober­lan­des­ge­rich­te, die einst­wei­li­ge Ver­fü­gun­gen in Pa­tent­ver­let­zungs­sa­chen grund­sätz­lich ver­wei­gern, wenn sich das Streit­pa­tent noch nicht in einem erst­in­stanz­li­chen Ein­spruchs- oder Nich­tig­keits­ver­fah­ren be­währt hat, ver­stö­ßt gegen Uni­ons­recht. Dies hat nach Mit­tei­lung des Land­ge­richts Mün­chen I der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof mit Ur­teil vom 28.04.2022 ent­schie­den.

Glaub­haft­ma­chung hin­rei­chend ge­si­cher­ten Rechts­be­stands er­for­der­lich

Die Richt­li­nie 2004/48/EG be­trifft die Durch­set­zung von Rech­ten des geis­ti­gen Ei­gen­tums. Der Er­lass einer einst­wei­li­gen Ver­fü­gung in einer Pa­tent­ver­let­zungs­sa­che setzt grund­sätz­lich neben Ver­fü­gungs­an­spruch (Ver­let­zung des Ver­fü­gungs­pa­tents) und Ver­fü­gungs­grund (Dring­lich­keit) die Glaub­haft­ma­chung eines hin­rei­chend ge­si­cher­ten Rechts­be­stands des Ver­fü­gungs­pa­tents vor­aus. Hier­für reich­te es nach der bis­he­ri­gen ober­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung für den Er­lass einer einst­wei­li­gen Ver­fü­gung im Fall einer Pa­tent­ver­let­zung grund­sätz­lich nicht aus, dass das gel­tend ge­mach­te Pa­tent von der Er­tei­lungs­be­hör­de – in die­sem Fall dem Eu­ro­päi­schen Pa­tent­amt – nach ein­ge­hen­der Prü­fung er­teilt wurde.

OLGe: Ge­si­cher­ter Rechts­be­stand nur bei Be­wäh­rung in Rechts­be­stands­ver­fah­ren

Meh­re­re Ober­lan­des­ge­rich­te, dar­un­ter das OLG Mün­chen, for­der­ten viel­mehr, dass – mit we­ni­gen Aus­nah­men – über die fach­li­che Prü­fung der Pa­tent­fä­hig­keit im Er­tei­lungs­ver­fah­ren durch das Pa­tent­amt hin­aus eine wei­te­re Be­stä­ti­gung der Pa­ten­tier­bar­keit er­bracht wird. Denn von einem ge­si­cher­ten Rechts­be­stand könne nur aus­ge­gan­gen wer­den, wenn sich das Pa­tent be­reits in einem Ein­spruchs-/Be­schwer­de­ver­fah­ren vor dem Eu­ro­päi­schen Pa­tent­amt oder beim Bun­des­pa­tent­ge­richt im Nich­tig­keits­ver­fah­ren als rechts­be­stän­dig er­wie­sen haben. Für die An­nah­me eines ge­si­cher­ten Rechts­be­stands eines Pa­ten­tes soll­te nach die­ser An­sicht das ge­prüf­te und er­teil­te Pa­tent grund­sätz­lich vor Er­lass einer einst­wei­li­gen Ver­fü­gung wegen sei­ner Ver­let­zung ein wei­te­res Mal, in einem Rechts­be­stands­ver­fah­ren, auf seine Pa­tent­fä­hig­keit hin ge­prüft wor­den sein.

LG Mün­chen I rief EuGH an

Das LG Mün­chen I hielt diese Aus­le­gung für eu­ro­pa­rechts­wid­rig. Nach Art. 9 Abs. 1 der Durch­set­zungs­richt­li­nie solle si­cher­ge­stellt sein, dass gegen einen Pa­tent­ver­let­zer eine einst­wei­li­ge Maß­nah­me an­ge­ord­net wer­den könne, um die Fort­set­zung einer Pa­tent­ver­let­zung zu un­ter­sa­gen. Das sei aber nach der mit die­sem Vor­la­ge­be­schluss zur Über­prü­fung ge­stell­ten Recht­spre­chung nicht mög­lich, denn ein – wie im vor­lie­gen­den Fall – ge­ra­de erst er­teil­tes Pa­tent könne ein Rechts­be­stands­ver­fah­ren noch gar nicht durch­lau­fen haben (Ein­spruchs- oder Nich­tig­keits­ver­fah­ren sind erst nach Pa­ten­ter­tei­lung mög­lich). Auch viele Pa­ten­te, deren Er­tei­lung be­reits lange zu­rück­lie­ge, hät­ten oft­mals im Zeit­punkt der Be­an­tra­gung einer einst­wei­li­gen Maß­nah­me noch kein sol­ches Rechts­be­stands­ver­fah­ren durch­lau­fen. Der Pa­tent­in­ha­ber habe na­tur­ge­mäß auch gar kei­nen Ein­fluss dar­auf, ob sein Pa­tent nach Er­tei­lung mit einem Ein­spruch oder einer Nich­tig­keits­kla­ge an­ge­grif­fen wird.

EuGH: OLG-Aus­le­gung ver­stö­ßt gegen Uni­ons­recht

Wie das LG mit­teilt, hat der EuGH (Az.: C-44/21) nun ent­schie­den, dass die Recht­spre­chung der Ober­lan­des­ge­rich­te gegen Uni­ons­recht ver­stö­ßt. Laut EuGH werde mit einer sol­chen Recht­spre­chung ein Er­for­der­nis auf­ge­stellt, das Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richt­li­nie 2004/48 jede prak­ti­sche Wirk­sam­keit nehme, da es dem na­tio­na­len Rich­ter ver­wehrt sei, im Ein­klang mit die­ser Be­stim­mung eine einst­wei­li­ge Maß­nah­me an­zu­ord­nen, um die Ver­let­zung des in Rede ste­hen­den, von ihm als rechts­be­stän­dig und ver­letzt er­ach­te­ten Pa­tents un­ver­züg­lich zu be­en­den.

EuGH, Urteil vom 28.04.2022 - C-44/21

Redaktion beck-aktuell, 29. April 2022.

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