Österreichische Entsende-Sanktionsregelung eingeschränkt anwendbar

Das nationale Gericht kann eine nationale Sanktionsregelung gegen Verstöße gegen im Wesentlichen administrative Pflichten im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern anwenden, die gegen die Entsenderichtlinie verstößt, sofern es die Verhältnismäßigkeit der Sanktionen sicherstellt. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden und damit grünes Licht für die Verhängung entsprechend abgemilderter Sanktionen gegeben.

Österreich sanktionierte slovakische Leiharbeitsfirma

Eine slovakische Gesellschaft entsandte Arbeitnehmer an eine Gesellschaft mit Sitz in Österreich. Mit Straferkenntnis von Juni 2018 verhängte die zuständige Bezirkshauptmannschaft eine Geldstrafe wegen Nichteinhaltung mehrerer im österreichischen Arbeitsrecht vorgesehener Verpflichtungen (Aufbewahrung und Zurverfügungstellung von Lohn- und Sozialversicherungsunterlagen). Im Oktober 2018 ersuchte das mit der Klage der Firma befasste österreichische Gericht wegen Zweifeln an der Vereinbarkeit der Sanktionen mit dem Unionsrecht den Gerichtshof um Vorabentscheidung. Dieser stellte 2019 fest, dass das Zusammenspiel verschiedener Teile des österreichischen Systems für die Sanktionierung von Verstößen gegen im Wesentlichen administrative Pflichten der Aufbewahrung bestimmter Unterlagen im Zusammenhang mit der Entsendung von Arbeitnehmern unverhältnismäßig ist. Unter Hinweis darauf, dass der nationale Gesetzgeber die fragliche Regelung im Anschluss an diesen Beschluss nicht geändert habe, beschloss das vorlegende Gericht, dem Gerichtshof nunmehr die Frage vorzulegen, ob die Sanktionsregelung unangewendet bleiben könne.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss beachtet werden

Der Gerichtshof hat zunächst festgestellt, dass Art. 20 der Richtlinie 2014/67 unmittelbare Wirkung hat, soweit er verlangt, dass die von ihm vorgesehenen Sanktionen verhältnismäßig sind, und somit vom Einzelnen vor den nationalen Gerichten gegenüber einem Mitgliedstaat, der diesen Artikel unzulänglich umgesetzt hat, geltend gemacht werden kann. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verpflichte die nationalen Behörden nur insoweit, eine nationale Regelung, von der ein Teil gegen das in Art. 20 der Richtlinie 2014/67 vorgesehene Erfordernis der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen verstoße, unangewendet zu lassen, als dies erforderlich sei, um die Verhängung verhältnismäßiger Sanktionen zu ermöglichen.

Anwendung der Sanktionsregelung nicht ausgeschlossen

Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die beanstandete Regelung zwar zur Erreichung der verfolgten legitimen Ziele geeignet sei, jedoch wegen des Zusammenspiels ihrer verschiedenen Merkmale über die Grenzen dessen hinausgehe, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sei. Bei separater Betrachtung liefen solche Merkmale diesem Erfordernis aber nicht zwangsläufig zuwider. Um die volle Wirksamkeit des in Art. 20 der Richtlinie 2014/67 vorgesehenen Erfordernisses der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen zu gewährleisten, habe daher das nationale Gericht denjenigen Teil der nationalen Regelung, aus dem sich die Unverhältnismäßigkeit der Sanktionen ergebe, unangewendet zu lassen, um so zur Verhängung verhältnismäßiger Sanktionen zu gelangen, die zugleich wirksam und abschreckend blieben.

Kein Verstoß gegen Grundsatz der Rechtssicherheit

Es könne nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit und den der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen sowie gegen das Rückwirkungsverbot strafrechtlicher Vorschriften angesehen werden, dass die verhängte Sanktion weniger hart ausfalle als in der anwendbaren nationalen Regelung vorgesehen, da die Sanktion weiterhin in Anwendung der genannten Regelung verhängt werde. Da außerdem das in Art. 20 der Richtlinie 2014/67 vorgesehene Verhältnismäßigkeitserfordernis zu einer Einschränkung der Sanktionen führe, die von allen mit der Anwendung dieses Erfordernisses im Rahmen ihrer Zuständigkeiten betrauten nationalen Behörden zu beachten sei und das genannte Erfordernis es diesen Behörden gleichzeitig erlaube, auf der Grundlage der anwendbaren nationalen Regelung unterschiedliche Sanktionen nach Maßgabe der Schwere des Verstoßes zu verhängen, könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein solches Erfordernis gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstößt.

EuGH, Urteil vom 08.03.2022 - C-205/20

Redaktion beck-aktuell, 8. März 2022.