EuGH: Österreich muss diskriminierende Kindergeldregeln ändern
Lorem Ipsum
© Mathias Rosenthal / stock.adobe.com

Die Kindergeldregeln in Österreich, nach denen Ausländer teils weniger Geld bekommen als Österreicher, verstoßen laut Europäischem Gerichtshof gegen EU-Recht. Österreich koppelt die Zahlungen an Arbeitnehmer, deren Kinder sich permanent in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, seit einiger Zeit an die dortigen Lebenshaltungskosten. Dieser Mechanismus stelle eine ungerechtfertigte Diskriminierung dar. Das Urteil dürfte auch Diskussionen in Deutschland beeinflussen.

Österreich macht Höhe des Kindergeldes vom Preisniveau der Mitgliedstaaten abhängig

Mit der Entscheidung gab der EuGH einer Vertragsverletzungsklage der EU-Kommission gegen die Kindergeld-Regelung Österreichs aus dem Jahr 2019 statt. Diese enthält einen Anpassungsmechanismus für die Berechnung der Pauschalbeträge der Familienbeihilfe sowie verschiedene Steuervergünstigungen, die Erwerbstätigen gewährt werden, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Diese Steuervergünstigungen umfassen den Kinderabsetzbetrag, den Familienbonus Plus, den Alleinverdienerabsetzbetrag, den Alleinerzieherabsetzbetrag und den Unterhaltsabsetzbetrag. Die Anpassung kann sowohl nach oben als auch nach unten erfolgen und richtet sich nach dem allgemeinen Preisniveau im betreffenden Mitgliedstaat. So gab es beispielsweise mehr Kindergeld, wenn Kinder in Großbritannien oder Irland lebten, wohingegen die Zahlungen für Kinder in Rumänien mehr als halbiert wurden.

EuGH: Anpassungsmechanismus verstößt gegen Unionsrecht

Da die EU-Kommission der Ansicht war, dass dieser Anpassungsmechanismus und die daraus resultierende Ungleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern gegenüber Inländern gegen das Unionsrecht verstießen, erhob sie beim EuGH eine Vertragsverletzungsklage gegen Österreich - mit Erfolg. Das Gericht entschied, dass die österreichische Regelung, soweit sie eine Anpassung der Familienleistungen nach Maßgabe des Wohnstaats der Kinder des Begünstigten vornimmt, gegen die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit verstößt. Zudem stelle der österreichische Mechanismus eine ungerechtfertigte mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit von Wanderarbeitnehmern dar.

Keine Kürzung von Familienleistungen aufgrund von Preisniveauunterschieden

Im einzelnen führte der EuGH aus, dass die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag Familienleistungen im Sinne der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sind, und als solche nicht aufgrund der Tatsache gekürzt oder geändert werden dürfen, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnen, der sie gewährt. Die Leistungen müssten vielmehr exakt jenen entsprechen, die Erwerbstätigen gewährt würden, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Da die Preisniveauunterschiede, die innerhalb des die Leistungen erbringenden Mitgliedstaats bestehen, nicht berücksichtigt würden, rechtfertigten es die Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten nicht, dass ein Mitgliedstaat dieser zweiten Personengruppe Leistungen in anderer Höhe gewährt als der ersten Personengruppe.

Unzulässige Diskriminierung von Wanderarbeitnehmern

Bezüglich der Familienbeihilfe und der Steuervergünstigungen weist der EuGH darauf hin, dass nach dem Unionsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit der Wanderarbeitnehmer unzulässig ist. Der Anpassungsmechanismus stelle eine ungerechtfertigte, mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar, da er zum einen nur zur Anwendung komme, wenn wenn das Kind nicht in Österreich wohne, und zum anderen primär Wanderarbeitnehmer betreffe, die aus Staaten kämen, in denen die Lebenshaltungskosten niedriger seien als in Österreich. Da der Wanderarbeitnehmer jedoch in gleicher Weise wie ein inländischer Arbeitnehmer an der Festsetzung und Finanzierung der Beiträge, die der Familienbeihilfe und den Steuervergünstigungen zugrunde liegen, beteiligt sei, ohne dass es insoweit auf den Wohnort seiner Kinder ankomme, sei es nicht gerechtfertigt, dass sie Familienleistungen sowie soziale und steuerliche Vergünstigungen in geringerer Höhe erhielten als österreichische Arbeitnehmer.

Österreich hat 220 Millionen Euro für Rückzahlungen beiseite gelegt

Wie die österreichische Nachrichtenagentur APA berichtete, hieß es zuletzt aus dem Familienministerium in Wien, man sei "für alle etwaigen Rechtsfolgen durch das Urteil des Gerichtshofs vorbereitet". Seit Einführung der neuen Regelung habe Österreich in den vergangenen drei Jahren bei der Auszahlung von Kindergeld in Ländern der EU und des Europäischen Wirtschaftsraums jeweils 62 Millionen, 104 Millionen und 141 Millionen Euro eingespart, teilte ein Sprecher von Familienministerin Susanne Raab der Deutschen Presse-Agentur vor der Urteilsverkündung mit. Für den Fall eines negativen Urteils hatte die Regierung außerdem 220 Millionen Euro für mögliche Kindergeld-Rückzahlungen beiseitegelegt. Raab teilte zudem mit, dass sie ungeachtet des Urteils weiterhin der Ansicht sei, dass eine Anpassung der Familienleistungen für Kinder, die im Ausland leben, an die dortigen Lebensumstände "nur fair" wäre. Der EuGH habe aber anders entschieden, das sei zu akzeptieren.

Rechte Politiker kritisieren Entscheidung

Die österreichische Kindergeld-Regelung aus dem Jahr 2019 galt als Prestigeprojekt der damaligen Koalitionsregierung zwischen konservativer ÖVP und rechter FPÖ. Die Änderung war von sozialen Organisationen und Gewerkschaftern scharf kritisiert worden, weil viele Pflegerinnen aus östlichen EU-Staaten stark betroffen waren. Der damalige Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte hingegen argumentiert, dass das neue System gerechter sei. Kritik an dem nun gefällten Urteil gab es vor allem von rechten Politikern. FPÖ-Politiker Herbert Kickl forderte, dass Österreich künftig gar keine Beihilfe mehr für Kindern zahlen sollte, die nicht in Österreich wohnen. Aber auch der christdemokratische EU-Abgeordnete Daniel Caspary bedauerte das Urteil. "Kindergeld ist kein Gehaltsbestandteil, sondern eine staatliche Sozialleistung, die Kindern dort wo sie leben zu Gute kommen soll", so der CDU-Politiker. Auch in Deutschland wurde ein entsprechendes Vorgehen bereits mehrfach diskutiert. So hatte etwa im Juni 2018 die CSU im Bundesrat einen Antrag zur Anpassung der Höhe des Kindergeldes an die Lebenshaltungskosten in dem Land, in dem das Kind lebt, vorgestellt. Der Finanzausschuss entschied jedoch, seine Beratungen zu der Initiative auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Die Familienkassen in Deutschland zahlen nach Daten der Bundesagentur für Arbeit für etwa 328.000 Kinder, die in anderen EU-Ländern leben, Kindergeld.

Miriam Montag, 17. Juni 2022 (ergänzt durch Material der dpa).