EuGH präzisiert Pflicht von öffentlichen Auftraggebern zum Schutz von Bieterinformationen

Im Bereich des öffentlichen Auftragswesens muss der Schutz der Vertraulichkeit gegen das Transparenzerfordernis abgewogen werden. Der Europäische Gerichtshof hat festgestellt, dass nationale Regeln, die die Publizität aller von Bietern übermittelten Informationen außer Geschäftsgeheimnisse vorschreiben, den Auftraggeber daran hindern könnten, bestimmte Angaben vertraulich zu behandeln. Dies sei mit dem Unionsrecht unvereinbar.

Nicht berücksichtigter Bieter begehrt Zugang zu Informationen

Das staatliche Wasserwirtschaftsunternehmen "Polnische Gewässer" leitete ein offenes Vergabeverfahren ein, um einen öffentlichen Auftrag für die Entwicklung von (Umwelt-)Bewirtschaftungsprojekten zu vergeben. Ein nicht berücksichtigter Bieter wandte sich an das vorlegende polnische Gericht, um die Nichtigerklärung der Vergabeentscheidung, eine erneute Prüfung der Angebote und die Offenlegung bestimmter Informationen zu erreichen. Das Gericht befragt den EuGH zu den Grenzen der Vertraulichkeit der Informationen, die die Bieter zusammen mit ihren Angeboten einreichen. Der EuGH präzisierte daraufhin den Umfang und die Anwendbarkeit des für öffentliche Auftraggeber geltenden Verbots, Informationen offenzulegen, die die Bewerber und Bieter ihnen im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge übermitteln.

EuGH: Nicht nur Geschäftsgeheimnisse geschützt

Der EuGH führt aus, dass die Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24) es einem Mitgliedstaat nicht verbietet, eine Regelung einzuführen, mit der der Umfang der Pflicht zur vertraulichen Behandlung durch den Begriff des "Geschäftsgeheimnisses" abgegrenzt wird. Wenn diese Regelung aber darüber hinaus für den Auftraggeber keine Möglichkeit vorsehe, die Offenlegung von Informationen, die zwar nicht unter den Begriff des "Geschäftsgeheimnisses" fallen, aber dennoch unzugänglich bleiben müssen, zu verweigern, dann verstoße dies gegen die Richtlinie über Geschäftsgeheimnisse (Richtlinie 2016/943).

Nationaler Gesetzgeber kann mehr Transparenz vorsehen

Das EU-rechtliche Verbot der Weitergabe von übermittelten und als vertraulich eingestuften Informationen gelte hingegen nur, sofern im nationalen Recht nichts anderes vorgesehen sei. Insofern dürfe im Rahmen der Abwägung zwischen Vertraulichkeit und größtmöglicher Transparenz jeder Mitgliedsstaat auch solche Vorschriften erlassen, die den Zugang zu Informationen regeln. Dies finde seine Grenzen bei nationalen Vorschriften, die die Publizität aller Informationen mit Ausnahme von "Geschäftsgeheimnissen" vorschreiben. Derartige Regelungen könnten den öffentlichen Auftraggeber nämlich daran hindern, bestimmte nicht unter diesen Begriff fallende Angaben im Hinblick auf die in der Richtlinie 2014/24 anerkannten Interessen oder Ziele wie den Gesetzesvollzug, das öffentliche Interesse, die berechtigten geschäftlichen Interessen eines Wirtschaftsteilnehmers und den lauteren Wettbewerb nicht offenzulegen.

Geschäftliche und öffentliche Interessen können Offenlegung entgegenstehen

Um die Wahrung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu gewährleisten, müsse dem nicht berücksichtigten Bieter jedenfalls ein Zugang zum wesentlichen Inhalt der Informationen gewährt werden, die andere Bieter vorgelegt haben. Davon ausgenommen seien Informationen, die entweder einen wirtschaftlichen Wert haben, der sich nicht auf den fraglichen öffentlichen Auftrag beschränkt, sodass ihre Offenlegung berechtigte geschäftliche Interessen oder den lauteren Wettbewerb beeinträchtigen könnte, oder deren Offenlegung den Gesetzesvollzug behindern würde oder sonst einem öffentlichen Interesse zuwiderliefe.

Informationen über Erfahrung und Referenzen nicht insgesamt vertraulich

Informationen über die einschlägige Erfahrung der Bieter und die Referenzen, die sie ihren Angeboten als Beleg für diese Erfahrung und ihre Fähigkeiten beifügen, könnten nicht insgesamt als vertraulich eingestuft werden. Die Erfahrung sei nämlich im Allgemeinen nicht geheim, sodass die sie betreffenden Informationen den Wettbewerbern grundsätzlich nicht vorenthalten werden dürfen.

Unterscheidung zwischen personenbezogenen und nicht personenbezogenen Daten

Bei Informationen über die natürlichen oder juristischen Personen einschließlich der Unterauftragnehmer sei zu unterscheiden zwischen den Angaben, anhand derer die Personen identifiziert werden können, und denjenigen, die sich allein auf ihre beruflichen Qualifikationen oder Fähigkeiten beziehen. So könne der Zugang zu personenbezogenen Daten verweigert werden, soweit es plausibel ist, dass der Bieter und seine Fachleute oder Unterauftragnehmer eine Synergie mit wirtschaftlichem Wert geschaffen haben. Die Offenlegung von dem Auftraggeber übermittelten Informationen dürfe indessen grundsätzlich nicht verweigert werden, wenn diese für das betreffende Vergabeverfahren relevanten Informationen im breiteren Kontext der Tätigkeiten dieser Wirtschaftsteilnehmer keinen wirtschaftlichen Wert haben. Bei nicht personenbezogenen Daten seien mit Blick auf den Grundsatz der Transparenz und das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf der wesentliche Inhalt wie die beruflichen Qualifikationen oder Fähigkeiten der zur Ausführung des Auftrags herangezogenen Personen, der Umfang und die Struktur des auf diese Weise gebildeten Personalbestands oder auch der Anteil der Auftragsausführung, den der Bieter an Unterauftragnehmer zu vergeben beabsichtigt, für alle Bieter zugänglich zu machen.

Urheberschutz kann Informationen zur Konzeption der Projekte entgegenstehen

Was die Konzeption der Projekte und die Beschreibung der Art und Weise der Auftragsausführung betrifft, obliege es dem öffentlichen Auftraggeber, zu prüfen, ob diese durch das Urheberrecht geschützt sein könnten. Der Schutz sei jedenfalls allein Elementen vorbehalten, die eine geistige Schöpfung ihres Urhebers zum Ausdruck bringen, in der dessen Persönlichkeit zum Ausdruck kommt. Außerdem könne die Veröffentlichung den Wettbewerb verfälschen, indem sie insbesondere die Fähigkeit des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers einschränkt, sich durch die gleiche Konzeption und die gleiche Beschreibung in künftigen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zu unterscheiden. Nichtsdestoweniger müsse auch hier der wesentliche Inhalt dieses Teils der Angebote zugänglich gemacht werden.

Zu Unrecht angenommene Vertraulichkeit: Erlass neuer Entscheidung über Auftragsvergabe nicht zwingend

Schließlich müsse es nicht zwingend zum Erlass einer neuen Vergabeentscheidung führen, wenn ein Auftraggeber gerichtlich verpflichtet wurde, Informationen offenzulegen, die zu Unrecht als vertraulich behandelt wurden, und gerichtlich festgestellt wurde, dass aufgrund der fehlenden Offenlegung dieser Informationen gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verstoßen wurde. Dies gelte insofern, als es das nationale Verfahrensrecht dem nationalen Gericht erlaubt, während des Verfahrens Maßnahmen zu ergreifen, durch die das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wieder gewahrt wird, oder davon auszugehen, dass der Rechtsbehelfsführer gegen die bereits ergangene Vergabeentscheidung einen neuen Rechtsbehelf einlegen kann. Die Frist für die Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs dürfe erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem der Rechtsbehelfsführer Zugang zu allen Informationen hat, die zu Unrecht als vertraulich eingestuft worden waren.

EuGH, Urteil vom 17.11.2022 - C-54/21

Redaktion beck-aktuell, 17. November 2022.