Gazprom-Tochter wendet sich gegen Änderung der EU-Vorschriften für Gasfernleitungen
Im April 2019 änderte der Unionsgesetzgeber die Gasrichtlinie durch den Erlass einer Richtlinie (Änderungsrichtlinie), um sicherzustellen, dass die für Gasfernleitungen zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften innerhalb der Europäischen Union auch für Gasfernleitungen aus Drittländern und in Drittländer gelten. Diese Vorschriften verlangen insbesondere eine wirksame Trennung der Transportstrukturen von den Gewinnungs- und Versorgungsinteressen sowie den Zugang Dritter zu den Fernleitungsnetzen. Die Aufgabe der Nord Stream 2 AG, eines schweizerischen Tochterunternehmens von Gazprom, besteht in der Planung, dem Bau und dem Betrieb der Gasfernleitung Nord Stream 2. Die Nord Stream 2 AG focht die Änderungsrichtlinie beim Gericht der Europäischen Union an. Das Gericht der Europäischen Union wies die Klage des Unternehmens mangels Betroffenheit als unzulässig ab. Gegen diesen Beschluss legte die Nord Stream 2 AG ein Rechtsmittel beim Gerichtshof ein.
EuGH hebt EuG-Entscheidung auf
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat den Beschluss des Gerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Die Nichtigkeitsklage sei teilweise zulässig. Grundsätzlich seien alle von EU-Organen erlassene Bestimmungen, einschließlich Richtlinien, mit der Nichtigkeitsklage anfechtbar, sofern sie nach ihrem anhand objektiver Kriterien zu beurteilenden Wesen verbindliche Rechtswirkungen erzeugten. Damit ein Einzelner gegen eine nicht an ihn gerichtete Handlung wie die Änderungsrichtlinie, deren Adressaten an sich die Mitgliedstaaten seien, eine Nichtigkeitsklage erheben könne, müsse dargetan werden, dass er von dieser Handlung unmittelbar betroffen sei. Hierfür wäre erforderlich, dass sich die betreffende Handlung unmittelbar auf die Rechtsstellung des Einzelnen auswirke und den Mitgliedstaaten keinerlei Ermessensspielraum bei ihrer Durchführung lasse.
Zulässigkeitsprüfung war fehlerhaft
Indem das Gericht festgestellt habe, dass eine Richtlinie in keinem Fall selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen oder eine unmittelbare oder direkte Quelle solcher Verpflichtungen sein und sich folglich nicht unmittelbar auf die Rechtsstellung des Betroffenen auswirken könne, solange keine Maßnahmen zu ihrer Umsetzung ergriffen worden seien, habe es gegen seine Pflicht verstoßen, anhand des Wesens und nicht anhand der Form des betreffenden Rechtsakts zu prüfen, ob solche Auswirkungen vorliegen. Die Änderungsrichtlinie habe dadurch, dass sie den Anwendungsbereich der Gasrichtlinie auf Verbindungsleitungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern wie die Verbindungsleitung Nord Stream 2 erweitere, zur Folge, dass der Betrieb dieser Verbindungsleitung den in der Gasrichtlinie enthaltenen Vorschriften zu unterwerfen sei. Dies wirke sich auf die Rechtsstellung der Nord Stream 2 AG unmittelbar aus.
Individuelle Betroffenheit hier gegeben
Es bestehe auch keinerlei Ermessensspielraum hinsichtlich der Möglichkeit, der Nord Stream 2 AG eine Ausnahme zu gewähren, da sie diese Voraussetzungen nicht erfülle. Auch wenn den Mitgliedstaaten nicht jeglicher Handlungsspielraum bei der Umsetzung der von der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zur Entflechtung genommen werde, überlasse ihnen die Richtlinie nur die Wahl der Mittel, mit denen ein klar definiertes Ziel, nämlich das einer wirksamen Trennung der Transportstrukturen von den Gewinnungs- und Versorgungsinteressen, erreicht werden müsse. Außerdem sei Nord Stream 2 die Einzige der bestehenden und noch zu errichtenden Verbindungsleitungen, auf die die von der Änderungsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen keine Anwendung fänden. In den Grenzen dieser individuellen Betroffenheit sei die Nichtigkeitsklage deshalb für zulässig zu erklären. Ob das Urteil aber mehr als symbolische Bedeutung hat, blieb zunächst unklar. Grund ist, dass das Unternehmen die Gaspipeline in absehbarer Zeit ohnehin nicht in Betrieb nehmen kann. Das Genehmigungsverfahren für Nord Stream 2 wurde im Februar wegen der russischen Eskalation im Ukraine-Konflikt von der Bundesregierung gestoppt.