Berücksichtigung nach Dublin-III-Überstellungsentscheidung eintretender Umstände

Ein Asylbewerber muss auch Umstände, die nach dem Erlass einer von ihm gerichtlich angefochtenen Überstellungsentscheidung eingetreten sind, geltend machen können. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Allerdings müsse dies nicht zwingend im Klageverfahren gegen die Entscheidung möglich sein. Vielmehr könnten die Mitgliedstaaten dafür auch einen besonderen Rechtsbehelf vorsehen.

Nachträgliche Umstände geltend gemacht

Der drittstaatsangehörige Ausgangskläger beantragte in Belgien Asyl. Sein Antrag wurde zurückgewiesen, weil die spanischen Behörden zugesagt hatten, ihn aufzunehmen, und ihm gegenüber wurde eine Überstellungsentscheidung erlassen. Kurz darauf reiste auch der Bruder des Ausgangsklägers nach Belgien ein und stellte dort einen Asylantrag. Der Ausgangskläger legte daraufhin Beschwerde gegen die ihn betreffende Überstellungsentscheidung ein und machte geltend, ihre jeweiligen Asylanträge müssten zusammen geprüft werden. Diese Beschwerde wurde mit der Begründung zurückgewiesen, der Bruder sei nach dem Erlass der streitigen Entscheidung nach Belgien eingereist. Daher könne dieser Umstand bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht berücksichtigt werden.

EuGH: Nachträgliche Umstände müssen geltend gemacht werden können

Der Ausgangskläger legte beim belgischen Staatsrat (Conseil d’État) Kassationsbeschwerde ein. Er machte einen Verstoß gegen sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf geltend. Der Staatsrat rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an. Laut EuGH muss ein Asylbewerber nachträgliche, für die korrekte Anwendung der Dublin-III-Verordnung entscheidende Umstände geltend machen können. Allerdings stehe es dem Mitgliedstaat frei, auf welchem Weg er einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 47 EU-Grundrechtecharta) gewährleiste. Nachträgliche Umstände müssten nicht zwingend im Klageverfahren gegen die Überstellungsentscheidung berücksichtigt werden.

EU-Staaten können dafür besonderen Rechtsbehelf vorsehen

Die EU-Staaten könnten dafür auch einen besonderen, nach Eintritt solcher Umstände einzulegenden Rechtsbehelf vorsehen. Denn der Unionsgesetzgeber habe nur bestimmte Verfahrensmodalitäten des Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung harmonisiert und in der Dublin-III-Verordnung nicht klargestellt, ob er zwangsläufig verlange, dass das damit befasste Gericht die Rechtmäßigkeit der Überstellungsentscheidung ex nunc prüfen kann.

Voraussetzungen dieses Rechtsbehelfs

Mit einem solchen besonderen Rechtsbehelf müsse der Betroffene aber eine Überstellung verhindern können, wenn ein nach der Überstellungsentscheidung eingetretener Umstand deren Durchführung entgegensteht. Ergäben nachträgliche Umstände die Zuständigkeit des ersuchenden Mitgliedstaats für die Prüfung des Asylantrags, müsse zudem gewährleistet sein, dass die Zuständigkeit anerkannt und unverzüglich mit der Antragsprüfung begonnen wird. Ferner dürfe die Ausübung dieses besonderen Rechtsbehelfs weder davon abhängig gemacht werden, dass dem Betroffenen die Freiheit entzogen wurde, noch davon, dass die Durchführung der betreffenden Überstellungsentscheidung unmittelbar bevorsteht.

EuGH , Urteil vom 15.04.2021 - C-194/19

Redaktion beck-aktuell, 15. April 2021.

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