Richterernennungen auf Malta mit Unionsrecht vereinbar

Die maltesischen Vorschriften, die dem Premierminister eine entscheidende Befugnis bei der Richterernennung einräumen, verstoßen nicht gegen das Unionsrecht. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Denn die Regelungen sähen auch die Beteiligung eines unabhängigen Gremiums vor, das damit betraut sei, die Kandidaten zu beurteilen und eine Stellungnahme zu übermitteln. Zudem sei die Befugnis des Premierministers durch Vorgaben eingehegt.

Premierminister kommt bei Richterernennung entscheidende Befugnis zu

Nachdem im April 2019 in Malta neue Richter ernannt worden waren, erhob Repubblika, ein Verband zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit, beim maltesischen Verfassungsgericht eine Popularklage, mit der er insbesondere das in der maltesischen Verfassung vorgesehene Verfahren zur Richterernennung rügte. Die beanstandeten Verfassungsbestimmungen verleihen dem Premierminister die Befugnis, dem Präsidenten der Republik die Ernennung eines Richteramtskandidaten zu unterbreiten. In der Praxis verfügt der Premierminister damit bei der Ernennung der maltesischen Richter über eine entscheidende Befugnis. Nach Auffassung von Repubblika wirft dies Zweifel an der Unabhängigkeit dieser Richter auf.

Weitere Vorgaben zur Richterernennung

Allerdings müssen die Kandidaten auch bestimmte, ebenfalls in der Verfassung vorgesehene Voraussetzungen erfüllen. Außerdem ist seit einer Reform von 2016 ein Ausschuss für Ernennungen im Justizwesen eingerichtet, der damit betraut ist, die Kandidaten zu beurteilen und dem Premierminister eine Stellungnahme zu übermitteln. Das Verfassungsgericht rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und bat um Klärung, ob das maltesische Richterernennungssystem mit dem darin dem Premierminister eingeräumten Ermessen mit Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV (wirksamer Rechtsschutz) und Art. 47 der EU-Grundrechtecharta (wirksamer Rechtsbehelf) vereinbar ist.

EuGH: EUV-Regelung anwendbar

Der EuGH stellt in einem ersten Schritt fest, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV im vorliegenden Fall anwendbar ist. Denn mit der Klage werde die Unionsrechtskonformität nationaler Rechtsvorschriften in Frage gestellt, die das Verfahren zur Ernennung von Richtern regeln, die über Fragen der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts zu entscheiden haben, und es werde bezüglich dieser Vorschriften geltend gemacht, sie seien geeignet, die richterliche Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Art. 47 der EU-Grundrechtecharta sei zwar mangels Berufung Repubblikas auf ein ihr nach Unionsrecht zustehendes subjektives Recht nicht anwendbar, bei der Auslegung des Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV aber zu berücksichtigen.

Richterliche Unabhängigkeit darf nicht vermindert werden

Im zweiten Schritt misst der EuGH das maltesische Richternennungsverfahren am Unionsrecht. Dabei unterstreicht er die fundamentale Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit für die Rechtsordnung der Union und erinnert an die Anforderungen, die an die Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu stellen seien: So seien Regeln erforderlich, die es ermöglichten, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der Richter für äußere Faktoren, insbesondere für unmittelbare oder mittelbare Einflussnahmen durch die Legislative und die Exekutive, und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen. Ferner weist er darauf hin, dass aus Art. 49 EUV folge, dass ein Mitgliedstaat seine Rechtsvorschriften, insbesondere im Bereich der Justizorganisation, nicht dergestalt ändern dürfe, dass der Schutz des Wertes der Rechtsstaatlichkeit vermindert wird, eines Wertes, der namentlich durch Art. 19 EUV konkretisiert wird. Dementsprechend müssten die Mitgliedstaaten davon absehen, Regeln zu erlassen, die die richterliche Unabhängigkeit untergraben würden.

Anpassungen von 2016 haben Unabhängigkeit gestärkt

Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass das Unionsrecht dem maltesischen Richternennungsverfahren nicht entgegensteht. Die Garantie der Unabhängigkeit der maltesischen Richter sei im Vergleich zu der Situation, die sich aus den zum Zeitpunkt des Beitritts Maltas zur EU geltenden Verfassungsbestimmungen ergeben habe, durch die 2016 erfolgte Einrichtung des Ausschusses für Ernennungen im Justizwesen nicht untergraben, sondern im Gegenteil gestärkt worden. Die Beteiligung eines solchen Gremiums könne grundsätzlich zu einer Objektivierung des Richterernennungsverfahrens beitragen, indem sie den Handlungsspielraum einschränkt, über den der Premierminister in diesem Bereich verfügt, vorausgesetzt, dieses Gremium sei selbst hinreichend unabhängig. Im vorliegenden Fall erscheinen laut EuGH eine Reihe von Vorschriften geeignet, diese Unabhängigkeit zu gewährleisten.

Befugnis des Premierminister durch Vorgaben eingehegt

Ferner betont der EuGH, dass der Premierminister zwar über eine ihm fest zugeschriebene Befugnis bei der Richterernennung verfüge, die Ausübung dieser Befugnis jedoch durch die von den Richteramtskandidaten zu erfüllenden, in der Verfassung vorgesehenen Voraussetzungen in Bezug auf Berufserfahrung eingegrenzt werde. Im Übrigen könne der Premierminister zwar beschließen, dem Präsidenten der Republik die Ernennung eines Kandidaten zu unterbreiten, der nicht vom Ausschuss für Ernennungen im Justizwesen vorgeschlagen wurde, doch sei er in einem solchen Fall verpflichtet, seine Gründe unter anderem der Legislative mitzuteilen. Soweit der Premierminister von dieser Befugnis nur ganz ausnahmsweise Gebrauch mache und die Begründungspflicht strikt und effektiv einhalte, sei diese Befugnis nicht geeignet, berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit der ausgewählten Kandidaten zu wecken.

Redaktion beck-aktuell, 20. April 2021.