EU-Kommission verliert vor EuGH in Steuerstreit um Fiat

Die EU-Kommission hat nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs zu Unrecht entschieden, dass ein Fiat-Tochterunternehmen in Luxemburg Steuern nachzahlen muss. Eine unerlaubte staatliche Beihilfe liege nicht vor. Der Kommissionsbeschluss sei daher nichtig. Die EU-Wettbewerbshüter hatten 2015 entschieden, dass das Fiat-Tochterunternehmen unerlaubte Steuervorteile genossen hatte. Luxemburg sollte die von Fiat gesparten Steuern - bis zu 30 Millionen Euro - zurückfordern.

Streit um Steuervorteil für Finanzunternehmen der Fiat-Gruppe

Die luxemburgischen Steuerbehörden erließen 2012 einen Steuervorbescheid (tax ruling) zugunsten von Fiat Chrysler Finance Europe (FFT), mit dem deren Methode zur Bestimmung der Dienstleistungsvergütung gebilligt wurde und das Unternehmen seine in Luxemburg der Körperschaftsteuer unterliegenden Gewinne auf Jahresbasis bestimmen konnte. Im Herbst 2015 stellte die Kommission fest, dass dieser Steuervorbescheid eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe im Sinn von Art. 107 AEUV sei und gab Luxemburg auf, die Beihilfe von FFT zurückzufordern. Sie meinte, Luxemburg habe sie weder über den geplanten Erlass des fraglichen Steuervorbescheids unterrichtet noch das Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 AEUV beachtet. Die von Luxemburg und FFT erhobene Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses wurde vom Gericht der Europäischen Union abgewiesen. Hiergegen legten die Kläger Rechtmittel ein.

Falsche Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes

Der EuGH hat das Urteil des Gerichts aufgehoben und den Beschluss der Kommission über die staatliche Beihilfe Luxemburgs zugunsten von FTT für nichtig erklärt. Die Kommission habe hinsichtlich der Feststellung, dass die steuerliche Maßnahme dem Unternehmen einen – unzulässigen - selektiven Vorteil verschafft hat, keinen Vergleich mit dem im betreffenden Mitgliedstaat normalerweise geltenden Steuersystem vorgenommen. Das Gericht habe zu Unrecht die Vorgehensweise der Kommission gebilligt. Diese habe einen anderen Fremdvergleichsgrundsatz angewandt als den im luxemburgischen Recht festgelegten, indem sie sich darauf beschränkt habe, den Grundsatz danach zu bestimmen, wie er in der Zielsetzung des allgemeinen luxemburgischen Körperschaftsteuersystems abstrakt zum Ausdruck komme. Sodann habe sie den fraglichen Steuervorbescheid geprüft, ohne die Art und Weise zu berücksichtigen, in der dieser Grundsatz insbesondere in Bezug auf integrierte Unternehmen im nationalen Recht konkret verankert sei.

Verkennung der Vorschriften des AEU-Vertrags

Außerdem habe das Gericht dadurch, dass es anerkannt habe, dass sich die Kommission auf Vorschriften berufen könne, die nicht zum luxemburgischen Recht gehörten, obwohl es darauf hingewiesen habe, dass die Kommission beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung des Unionsrechts nicht befugt sei, unter Außerachtlassung der nationalen Steuervorschriften eigenständig die sogenannte "normale" Besteuerung eines integrierten Unternehmens zu bestimmen, die Vorschriften des AEU-Vertrags über den Erlass von Maßnahmen zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern durch die Europäischen Union verkannt.

EU-Kommissarin: "Große Niederlage für die Steuergerechtigkeit"

Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager sprach nach dem Urteil auf Twitter von einer großen Niederlage für die Steuergerechtigkeit. Das Urteil gebe aber wichtige Hinweise zur Anwendung der EU-Vorschriften über staatliche Beihilfen im Steuerbereich, hieß es in einer Mitteilung. Der wirtschaftspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Markus Ferber, bezeichnete das Urteil als "Ohrfeige für die Europäische Kommission und eine Blamage für Wettbewerbskommissarin Vestager". "Das Vestagers Strafen vor Gericht gekippt werden, entwickelt sich langsam zum Regelfall", kritisierte der CSU-Politiker.

EuGH, Urteil vom 08.11.2022 - C-885/19

Redaktion beck-aktuell, 8. November 2022 (ergänzt durch Material der dpa).